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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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herauf, und nur wenige Menschen waren noch unterwegs und überquerten den Kathedralenvorplatz. Suchend sah er sich um. Das Mädchen war nicht mehr zu sehen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis auch die Tore der Heiligen Stadt geschlossen werden würden.
    Auf der anderen Seite der Mauer begann das Gewirr aus schmalen Gassen, in denen die Handwerker und Kaufleute mit ihren Familien lebten.
    Robert versuchte, sich an die Angehörigen des Mädchens zu erinnern, um dadurch wenigstens einen Anhaltspunkt zu haben, der Rückschlüsse auf ihre Herkunft zuließ, doch es gelang ihm nicht. Gedankenverloren begab er sich ins Dormitorium, das er mit elf anderen Schülern teilte.
    Er legte Wachstafel, Schreibgriffel und das teure Pergamentpapier auf seine Bank und ließ sich auf das große Bett fallen.
    Kaum hatte er seine Augen geschlossen, als die Türe auch schon wieder geöffnet wurde und sein Freund Bernard von Auvergne hereingewankt kam. Er war der dritte Sohn des Grafen Robert von Auvergne, dessen Vorfahren bislang noch an jedem Kreuzzug teilgenommen hatten, weshalb die Familie überall großes Ansehen genoss. Sein Vater hatte ein hohes kirchliches Amt für seinen Sohn vorgesehen und ihn dazu gezwungen, das Studium anzutreten, obwohl Bernard bereits als kleiner Junge von nichts anderem geträumt hatte, als Ritter zu werden und ebenfalls an einem Kreuzzug teilzunehmen. In seinen Augen war das Studium überflüssig, und er betrachtete es als eine lästige Angelegenheit, die er notgedrungen über sich ergehen lassen musste. Das Leben in der Stadt war da schon wesentlich aufregender, und er genoss die Zeit, die er in Bourges verbringen musste, in vollen Zügen.
    Seine Augen waren glasig, und er roch nach billigem Wein. Wie immer, wenn er getrunken hatte, redete er munter und ohne Luft zu holen drauflos:
    „Ihr wisst nicht, was Euch entgangen ist. In der Schenke ‚Zur Fetten Henne‘ gibt es ein neues Mädchen, das Ihr Euch unbedingt ansehen müsst, ihr Name ist Catherine. Sie verlangt zwei Sous, aber die ist sie wert. Sie macht mich noch ganz verrückt mit ihren roten Locken und ihrem biegsamen Körper.“
    Er breitete seinen linken Arm aus, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Die schnelle Bewegung brachte ihn jedoch aus dem Gleichgewicht, das er nur mit Mühe wiedergewann.
    „Ihr solltet sie einmal zwischen Eure Schenkel nehmen, sie wird Euch eine ganz neue Form der Rhetorik beibringen“, riet er Robert kichernd.
    Achtlos ließ er seinen Umhang auf den Boden fallen und warf sich neben seinem Kameraden aufs Bett.
    „Ich habe genug für heute, und außerdem besitze ich keinen einzigen Sous mehr. Ich werde einen Boten zu meinen Eltern schicken müssen.“
    Prüfend betrachtete er Robert, der ihm schweigend zugehört hatte. „Könntet Ihr mir in der Zwischenzeit nicht etwas borgen? Denn es wird wohl eine Weile dauern, bis der Bote zurück sein wird, und der Wirt verlangt schon beinahe so hohe Zinsen, wie die hakennasigen Juden es tun, wenn man bei ihm anschreibt. Ich weiß wirklich nicht, wie lange ich es hier noch aushalte, wenn ich mir nicht einmal mehr einen Schenkenbesuch erlauben kann. Am liebsten würde ich das ganze Studium einfach beenden und an König Ludwigs Kreuzzug teilnehmen, aber mein Vater besteht nun einmal darauf, dabei habe ich schon lange mehr als genug von all der Rhetorik, Grammatik und Dialektik.“
    Sein schönes Gesicht verzog sich verächtlich, und er wirkte fast wieder nüchtern. Plötzlich nahm seine Stimme einen dramatischen Tonfall an:
    „Lieber würde ich mit dem Schwert in der Hand auf dem Schlachtfeld sterben, wie es jedem Ritter zur Ehre gereicht, als am Schreibpult bei Tinte und Feder zu verrotten.“
    Bittend sah er Robert an. Und obwohl Robert wusste, dass Bernard bereits überall Schulden hatte, brachte er es trotzdem nicht übers Herz, ihm seine Bitte abzuschlagen.
    „Ich kann Euch zwanzig Sous borgen, mehr habe ich nicht“, versprach er. Bernard sah ihn dankbar an.
    „Ihr seid ein guter Freund, und wenn ich Euch einmal helfen kann, dann zögert nicht, mich anzusprechen.“
    Schon fielen ihm die Augen zu, und er begann laut zu schnarchen.
    Robert betrachtete ihn nachdenklich. Bernard war das genaue Gegenteil von ihm. Er war ein Mann, dem die Mädchen und Frauen bewundernd nachsahen, und das nicht nur, wenn sie sich unbeobachtet glaubten. Schwarze glänzende Locken fielen Bernard bis auf die Schultern herab und umrahmten ein kühnes, scharf geschnittenes Gesicht mit

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