Die Bluterbin (German Edition)
was geschehen ist“, sagte sie streng.
Marie seufzte. Elsa konnte man einfach nichts vormachen, und so blieb ihr schließlich nichts anderes übrig, als ihr von ihrer Begegnung mit Robert zu erzählen.
Die Magd schnappte aufgeregt nach Luft. Es war genau das eingetreten, was sie befürchtet hatte, und noch dazu zu einem Zeitpunkt, zu dem sie allein die Verantwortung für das Mädchen trug.
In diesem Moment bedauerte sie beinahe, dass Maries Eltern nicht hier waren. Bei dem Gedanken an die Kathedralenschüler stieg jedoch heller Zorn in ihr hoch.
In feinen Kleidern liefen diese Burschen durch die Stadt und machten den Mädchen mit schönen Worten Versprechungen, die sie danach nicht einzuhalten gedachten.
„Du wirst nicht mehr allein zur Kathedrale gehen“, donnerte sie los. Maries Augen füllten sich mit Tränen. Das erste Mal in ihrem Leben war sie wirklich glücklich, und nun wollte nicht einmal Elsa sie verstehen.
Flehend sah sie Elsa an.
„Robert wollte mich nur beschützen“, verteidigte sie ihn. „Er hat nichts Unrechtes im Sinn. Und es war so schön, von ihm begleitet zu werden.“
Ein Schatten überzog ihr schmales Gesicht. „Wenn Robert erst einmal von meiner Krankheit erfahren hat, wird er sowieso an mir vorbeigehen, genau wie die anderen Menschen es auch tun.“
Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie daran dachte, dass niemals jemand zuvor so aufmerksam und liebevoll zu ihr gewesen war wie Robert. Sie schluckte.
„Du brauchst dich also nicht zu sorgen. Ich werde ihm aus dem Weg gehen.“
Elsa war von Maries Worten nicht sehr überzeugt, aber sie brachte es nicht länger über sich, weiterhin so streng mit ihr zu sein.
„Du musst mir versprechen, dass du mir erzählst, wenn der junge Mann dich noch einmal anspricht, und dass du heimkehrst, bevor die Dämmerung hereinbricht.“
Dankbar sah Marie sie an.
Es war bereits so dunkel in der Kammer, dass Elsa die Talglampe von der Wand nahm und sie anzündete.
„Es ist Zeit zum Essen“, erklärte sie daraufhin und schritt mit der Lampe in der Hand die Treppe zur Küche hinunter. Marie folgte ihr. Sie verspürte keinen Hunger, aber sie wollte Elsa nicht noch mehr erzürnen, indem sie nichts aß.
Uns so zwang sie sich, etwas von der Bohnensuppe zu essen, die Elsa vor sie auf den Tisch gestellt hatte, und begab sich anschließend sofort in ihre Kammer. Es war kalt in dem großen Bett ohne die Wärme der Schwestern, und Marie kroch tiefer unter die Decke. Immer wieder musste sie an Robert denken, und es dauerte lange, bis sie endlich in einen unruhigen Schlaf gesunken war.
Als sie am nächsten Tag aus der Kathedrale kam, erwartete Robert sie bereits. Er sah sie so liebevoll an, dass sie hören konnte, wie ihr das Herz in der Brust schlug. Wie selbstverständlich lief er neben ihr her, und Marie ließ es geschehen.
Sie brachte es einfach nicht fertig, ihn abzuweisen, obwohl sie es Elsa versprochen hatte. Einmal noch wollte sie die Freude über seine Begleitung genießen.
„Besucht Ihr die Kathedrale jeden Tag?“, fragte Robert, nachdem sie einige Schritte gegangen waren.
„Ich komme sooft ich kann“, erwiderte Marie mit leuchtenden Augen. „In der Kathedrale ist alles so erhaben und heilig, dass ich es manchmal kaum wage zu atmen, um die Stille dort nicht zu stören.“
Erschrocken sah sie zu Robert auf. Ohne es zu wollen, hatte sie ihm ihre geheimsten Gedanken verraten. Ob er sie jetzt wohl für töricht halten würde? Doch Robert lächelte nur.
„Ich kann Euch gut verstehen. Manchmal fällt es mir schwer zu glauben, dass es tatsächlich Menschen waren, die dieses gewaltige Bauwerk erschaffen haben.“
Sie bogen in die Gasse ein, in der Marie wohnte. Entschlossen blieb Marie stehen.
„Danke, dass Ihr mich begleitet habt, aber es ist besser, wenn ich jetzt allein weitergehe. Wenn Elsa Euch zusammen mit mir sieht, lässt sie mich nicht mehr in die Kathedrale gehen. Sie trägt die Verantwortung für mich, solange meine Eltern fort sind.“
Ängstlich sah sie ihn an. Jetzt würde er sicher ärgerlich werden, doch Robert nickte nur ernst mit dem Kopf.
„Eure Elsa hat ganz recht, wenn sie Euch vor den Männern warnt“, gab er der Magd recht. „Obwohl ich wirklich nichts Böses im Sinn habe, das glaubt Ihr mir doch, oder?“
Marie nickte erleichtert.
„Dann werde ich jetzt gehen.“
Er wandte sich ab und lief zurück. Marie blieb stehen und sah ihm nach. Sie hatte sich daran gewöhnt, den Menschen in ihrer Umgebung
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