Die Bluterbin (German Edition)
tiefblauen Augen, die meistens voller Übermut blitzten. Bernard war leichtfertig und sorglos, trotzdem war er ein guter Freund, der niemals ein Versprechen brechen würde, weil ihm die Ritterideale wie Treue, Glaube und Mut heilig waren. Er war beseelt vom Gedanken, Ritter zu werden und gleich seinen Vorfahren Jerusalem aus der Hand der Ungläubigen zu befreien.
Im Stillen musste er Bernard Recht geben. Schwert und Rüstung würden ihm tatsächlich besser anstehen als der Schreibgriffel. Das einzige Fach, in dem er wirklich glänzte, war Rhetorik.
Roberts Gedanken wanderten zurück zu dem wunderschönen Mädchen mit den unergründlichen Augen, die wie kostbarer Samt schimmerten. Er hatte sich bisher nicht für Mädchen interessiert. Doch dieses Mädchen war anders als alle Mädchen, die er bislang kennengelernt hatte.
9
Am nächsten Tag erschien sie wieder in der Kathedrale, ganz wie er es sich erhofft hatte. Er wartete vor dem Portal auf sie.
„Darf ich Euch nach Hause begleiten? Es ist nicht ganz ungefährlich für ein junges Mädchen, allein in der Dämmerung zu gehen.“
Marie sah überrascht auf und betrachtete Robert genauer. Sie konnte kaum glauben, was sie gerade gehört hatte. Er schien tatsächlich ihre Gesellschaft zu suchen, anstatt sie zu meiden. Die hellbraunen Augen in seinem offenen, klaren Gesicht wirkten freundlich und passten gut zur Farbe seiner Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen.
Zudem wirkte er vertrauenerweckend und war ihr ohne Zögern zu Hilfe geeilt, als sie zu stürzen drohte. Schüchtern hielt sie seinem Blick stand und nickte dann unmerklich mit dem Kopf.
Sie gingen los, und Robert hatte zunächst Mühe, sich ihren Schritten anzupassen, obwohl er viel größer war als sie.
Marie wagte nicht zu sprechen, aus Angst, es könnte dumm klingen. Schweigend lief sie neben ihm her und genoss mit flatterndem Herzen die unaufdringliche Gesellschaft ihres Begleiters. Robert schwieg ebenfalls. Es genügte ihm, einfach nur neben ihr herzugehen und auf diese Weise bei ihr sein zu können.
Viel zu schnell erreichten sie die Kaufmannsgasse.
Marie blieb vor einem stattlichen Fachwerkhaus stehen.
„Hier wohne ich“, wendete sie sich erstmals an ihn. „Es war sehr freundlich von Euch, mich zu begleiten.“
Zögernd reichte sie ihm ihre schmale Hand.
Robert sah ihr in die glänzenden Augen.
„Es war mir ein Vergnügen, und wenn ich darf, werde ich Euch das nächste Mal wieder begleiten.“ Da fiel ihm ein, dass er noch nicht einmal ihren Namen wusste. „Verratet Ihr mir, wer Ihr seid?“
„Ich heiße Marie Machaut, und mein Vater ist der Tuchhändler Jean Machaut“, erwiderte Marie leise.
Maries offensichtliche Verlegenheit gab Robert seine Selbstsicherheit zurück.
„Ich bin ein Esel, verzeiht mir“, begann er fröhlich. „Ich verlange von Euch, mir Euren Namen zu nennen, ohne mich selbst vorgestellt zu haben. Sicher interessiert es Euch, wer Euch nach Hause begleitet hat.“
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern fuhr lächelnd fort.
„Mein Name ist Robert de Forez, Sohn des Grafen Guido de Forez, ich absolviere gerade mein Studium an der Kathedralenschule.“
Darauf wandte sich Marie, ohne ein weiteres Wort zu sagen, um und lief auf die Haustüre zu.
„Es war schön, mit Euch zu reden, Marie Machaut“, rief er ihr nach.
Bevor sie die Türe öffnete, drehte sie sich noch einmal um. Grüßend hob Robert seine Hand.
Wie im Traum eilte Marie die steile Treppe zu ihrer Kammer hinauf und sah Robert von ihrem Fenster aus nach, bis er in einer der Gassen verschwunden war.
Ihr Herz klopfte noch immer ungestüm in ihrer Brust, und sie konnte kaum glauben, was sie gerade erlebt hatte. Sie hörte, wie Elsa die Treppe heraufkam. Eigentlich wäre sie gerne noch eine Weile allein gewesen, doch schon öffnete sich die Türe, und Elsa betrat die Kammer.
Sie sah das Leuchten in Maries Augen und die feine Röte auf ihren hellen Wangen. Einmal mehr wurde ihr voller Sorge bewusst, dass Marie kein Kind mehr war. Aus dem kleinen blassen Mädchen von einst war im letzten halben Jahr eine wunderschöne junge Frau geworden. Die plötzliche Aufregung und die sichtbare Veränderung im Gesicht ihres Schützlings machten sie misstrauisch.
Da konnte nur ein Mann hinterstecken, irgend so ein Kerl mit schmutzigen Gedanken, der sich an ihr kleines Mädchen herangemacht hatte, um ihre Unerfahrenheit auszunutzen.
Sie kniff die Augen zusammen und sah Marie auffordernd an.
„Erzähl mir,
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