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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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ertragen zu müssen.
    Andere Frauen und Mädchen betraten mit Körben an den Armen den Platz und waren innerhalb kürzester Zeit erneut von einer Ansammlung von Bettlern umringt.
    Marie hatte nicht bemerkt, dass Robert nur wenige Ellen von ihr entfernt gestanden und sie von seinem versteckten Platz aus beobachtet hatte.
    Der kleine Beutelschneider lief ihm direkt in die Arme. Robert sah das Messer in seiner Hand und auch Maries blauen Beutel, den er noch im Laufen unter seinem abgewetzten braunen Umhang zu verbergen suchte.
    Der Junge warf einen raschen Blick hinter sich, um sich zu vergewissern, dass er nicht verfolgt wurde. Dieser Augenblick genügte Robert, um ihm das Messer aus der Hand zu schlagen und ihn am Kragen zu packen.
    In den Augen des Jungen stand die nackte Angst. Er wusste genau, was für eine Strafe ihn erwartete, wenn man ihn beim Stehlen erwischte.
    Dieben und Beutelschneidern wurde ohne langes Zögern die rechte Hand abgehackt, damit sie sich für immer an ihr Verbrechen erinnerten.
    „Gib mir den Beutel, den du gerade dem Mädchen gestohlen hast“, forderte Robert leise, aber mit bestimmter Stimme.
    Der Junge zögerte, und Robert verstärkte den Druck an seinem Hals. Da gab er nach und zog den Beutel unter seinem Umhang hervor.
    „Ich habe seit drei Tagen nichts mehr gegessen, und der Korb war leer“, versuchte er sich zu verteidigen.
    „Das rechtfertigt noch lange nicht dein Verhalten“, meinte Robert streng. Trotz allem tat ihm der Junge leid. Er konnte kaum älter als zwölf Jahre sein. Sollten andere über ihn richten, er hatte keine Lust dazu.
    „Wenn du bei Gott schwörst, ab sofort nie mehr etwas zu stehlen, werde ich dich ausnahmsweise laufen lassen.“
    Ein dankbarer Blick aus den grünblauen Augen traf ihn. Das war mehr, als der Junge zu hoffen gewagt hatte.
    „Ich schwöre es“, versprach er feierlich.
    „Solltest du deinen Schwur brechen, wirst du in der finstersten Hölle schmoren, darauf gebe ich dir mein Wort.“ Robert hatte seine Stimme erhoben.
    Der Junge starrte ihn erschrocken an. In der Kathedrale hatte er Bilder von dem riesigen Höllenkessel gesehen, in dem alle Sünder unter größten Qualen bis zum Jüngsten Tag ausharren mussten. Robert sah, wie er schluckte. Er würde seine Worte beherzigen, davon war er überzeugt.
    Einige Leute waren stehen geblieben und hatten das Geschehen neugierig beobachtet. Robert lockerte seinen Griff, und der Junge rannte los, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Er befürchtete, dass Robert es sich vielleicht doch noch anders überlegen könnte. Ein lauter Ruf von ihm würde genügen, und die Meute würde sich auf ihn stürzen, um ihn festzunehmen.
    Es war nur eine kleine Bewegung, mit der ein kräftiger, grobschlächtiger Mann seinen rechten Fuß nach vorne setzte, aber sie genügte, um den Jungen aus dem vollen Lauf heraus zu Fall zu bringen.
    In die Augen des Mannes, der den roten Umhang eines Büttels trug, trat ein grausamer Zug, als er sich blitzschnell bückte und den Jungen mit festem Griff am Arm packte, noch bevor dieser sich zur Seite rollen und entwischen konnte. Robert bekam von dem, was sich hinter seinem Rücken abspielte, nichts mit. In seinen Gedanken war er schon bei Marie. Suchend schweifte sein Blick über den großen Platz, der überfüllt mit Bettlern, allerlei Gesinde und ehrbaren Bürgern in festlichen Kleidern war.
    Endlich entdeckte er sie am Ende der langen Schlange, die sich vor dem Portal der Kathedrale gebildet hatte. Mit großen Schritten eilte er auf sie zu. „Ich glaube, ich habe etwas, das Euch gehört“, sagte er und hielt ihr den Beutel hin.
    Maries Augen weiteten sich vor Freude. Sie nahm den Beutel und öffnete ihn. Der kleine Jadevogel war unversehrt. Dankbar fasste sie Robert beim Arm, und ihre Augen versanken in einem stummen Zwiegespräch, das jedoch jäh unterbrochen wurde.
    Ein angstvoller Schrei ließ Marie den Kopf wenden. Nicht weit von ihr entfernt versammelten sich immer mehr Schaulustige um den Büttel, der den kleinen Gauner so fest gepackt hielt wie ein Jäger seine Beute. Zwei weitere Büttel bahnten sich, gefolgt vom Scharfrichter, einen Weg durch die Leute. Ihre scharlachfarbenen Umhänge hoben sich grell vor dem Hintergrund des hellen Schnees ab.
    Marie ließ Robert stehen und lief schnell auf den Jungen zu. Ein stummer Vorwurf stand in seinen angstvoll aufgerissenen Augen.
    In aller Eile wurde ein grob zusammengehauener Tisch herbeigeschafft und vor dem Büttel

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