Die Bluterbin (German Edition)
Geheimnis?
Er rief sich die Worte des Königs ins Gedächtnis zurück. Ludwig war davon überzeugt, dass Gott ein weiteres Wunder an ihm bewirkt hatte.
Das war an sich nichts Außergewöhnliches, denn der König pflegte grundsätzlich alles Wundersame auf sich zu beziehen. Gleichzeitig hatte er aber auch gesagt, dass es der Blick in die Augen des Mädchens gewesen wäre, der ihn geheilt hatte.
Erschrocken setzte er sich auf. Er hatte schon von vielen Wunderheilern gehört und auch selbst einige kennengelernt. Doch keinem von ihnen war es bislang gelungen, ihn wirklich zu überzeugen.
Er sah die Tochter des Tuchhändlers wieder vor sich.
Dieses Mädchen war in der Tat anders. Sie war etwas Besonderes, und wenn Gott ihr wirklich die Gabe verliehen hatte, mit ihrem Blick zu heilen, würde sie sich bald in großer Bedrängnis befinden, denn der Bischof würde versuchen, sie für seine schmutzigen Pläne zu missbrauchen und ihre Fähigkeit rücksichtslos ausnutzen, um seine eigene Macht zu stärken. Ob er mit Ludwig darüber reden sollte? Nach kurzem Nachdenken verwarf er diesen Gedanken jedoch wieder.
Er kannte den König gut genug, um zu wissen, dass er sich nicht gerne auf einen Fehler hinweisen ließ, und die Sache mit dem Ring war ein Fehler gewesen, der das Mädchen in große Gefahr bringen konnte.
Davon abgesehen pflegte der König stets zu behaupten, dass Gott das, was er liebte, auch immer schützte.
Er dachte an den Tag zurück, als er den König von Frankreich zum ersten Mal getroffen hatte. Niemals in seinem Leben würde er diesen Tag vergessen. Es war der vierundzwanzigste Juni des Jahres 1241 gewesen, der Johannistag, an dem die Schwertleite des Grafen Alfons von Poitiers mit großer Festlichkeit begangen worden war.
In Anjou, in den großen Hallen von Saumur, hatte er erstmals die ganze Prachtentfaltung des königlichen Hofes kennengelernt und war dort unverhofft Ludwig begegnet. Er hatte sich über den schlichten baumwollenen Hut gewundert, den Ludwig an diesem Tag getragen und der ihm weder besonders gut gestanden noch zu seinen ansonsten prächtigen Gewändern gepasst hatte.
Damals hatte er noch nicht geahnt, dass der König sein Schicksal werden würde und er noch oft die Gelegenheit bekommen würde, mit dem unsäglichen Zwiespalt konfrontiert zu werden, aus dem heraus Ludwig für seinen Glauben kämpfte.
Er war nur ein einfacher Knappe des Königs von Navarra gewesen und hatte die prächtigen Kleider der Grafen und Barone bewundert, ebenso wie die Ritter in ihren Seidenröcken und die unzähligen Lakaien, die mit dem Wappen des Grafen von Poitiers auf Zindeltaft geschmückt waren.
Die riesigen Hallen waren nach dem Vorbild der Kreuzgänge der weißen Mönche von Citeaux errichtet worden. Niemals zuvor hatten seine staunenden Augen jemals Räumlichkeiten von solch einem Ausmaß erblickt.
Der König hatte, umgeben von seinen Rittern und Lakaien, mit zwanzig Bischöfen und Erzbischöfen getafelt. An der Tafel ihm gegenüber saß die Königinmutter Blanca mit ihrem nicht minder prächtigen Hofstaat.
Viele Gedanken gingen Joinville an diesem Abend noch durch den Kopf, und als er endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, träumte er von grässlichen Fratzen und Dämonen, die über himmlische Wesen herfielen und sie doch nicht vernichten konnten.
Am nächsten Morgen verabschiedeten sie sich vom Bischof, der nicht den geringsten Versuch unternahm, sie zum Bleiben zu überreden. Im Gegenteil, man konnte fast schon den Eindruck gewinnen, dass er froh darüber war, den König so rasch wieder loszuwerden. Gut gelaunt ritten sie aus der Stadt hinaus und schlossen sich wieder ihrem Tross an, der in der Zwischenzeit weiter in Richtung Paris gezogen war.
14
Nachdem Robert Marie unterwegs den Ring des Königs vom Finger gezogen und ihn in seinen Beutel gesteckt hatte, trug er sie auf seinen Armen nach Hause. Marie würde nur erschrecken, wenn sie den Ring entdecken würde, ohne zu wissen, wie er an ihren Finger gekommen war. Er hielt es daher für besser, erst mit ihr darüber zu reden und ihr danach den Ring zurückzugeben.
Eleonore war gerade auf dem Weg in die Küche, als es klopfte. Sie öffnete die Türe und starrte misstrauisch auf den jungen Mann, der ihre Tochter in den Armen hielt. Sie überlegte, wo sie sein Gesicht schon einmal gesehen hatte, doch es fiel ihr nicht ein.
Mit lauter Stimme rief sie nach dem Knecht, der nur wenig später hinter ihr an der Tür auftauchte.
„Trag Marie in ihre
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