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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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jetzt eine Möglichkeit ergeben, über die aufsässige Bürgerschaft und die damit zusammenhängenden Probleme zu sprechen. Doch zu seinem Ärger wurde seine Hoffnung zum zweiten Mal an diesem Abend enttäuscht.
    Der König erhob sich von seinem Stuhl.
    „Wir sind müde von der Reise und würden uns gerne in unsere Schlafgemächer zurückziehen.“
    Damit blieb Radulfus nichts anderes übrig, als dem Wunsch des Königs nachzukommen.
    Mit säuerlicher Miene geleitete er seine hohen Gäste zu ihren Gemächern.
    Den ganzen Abend über hatte Joinville schon darauf gewartet, mit Ludwig zu sprechen, um von ihm zu erfahren, was eigentlich wirklich in der Kathedrale geschehen war. Mehrmals hatte er bereits zum Sprechen angesetzt, aber der König hatte ihn immer wieder durch einen warnenden Blick zum Schweigen gebracht. Jetzt endlich war der Moment gekommen, in dem er unter vier Augen mit Ludwig reden konnte.
    „Wie ich voller Freude feststelle, scheinen Eure Schmerzen auf wundersame Weise verschwunden zu sein, und Ihr erfreut Euch wieder bester Gesundheit“, stellte er fest.
    Ludwigs Gesicht wurde ernst.
    „Ich wollte verhindern, dass dieser überhebliche Bischof etwas davon erfährt, nur aus diesem Grund habe ich Euch angewiesen zu schweigen. Meine Schmerzen sind tatsächlich verschwunden, als wären sie nie da gewesen. Und zwar seitdem ich in die Augen dieses Mädchens gesehen habe. Ich habe den ganzen Abend darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass unser Herr in Seiner großen Güte ein weiteres Wunder an mir vollbracht hat.“
    Joinville war bei den Worten des Königs nachdenklich geworden.
    „Ihr glaubt, dass dieses Wunder etwas mit dem Mädchen zu tun hat?“, fragte er.
    Ludwig sah ihn aus seinen strahlenden Augen heraus an. „Ich glaube es nicht nur, ich weiß es. Es war eine eigenartige Erfahrung. Ich konnte geradezu spüren, wie sie mir tief in meine Seele geblickt hat, und dabei stand in ihren Augen nichts als Liebe, reine, unschuldige Liebe ohne jede Bedingung. Eine solche Liebe kann nur von Gott kommen, und daher ist es meine Pflicht, dieses Mädchen vor solchen Menschen wie dem Bischof zu schützen. Nur aus diesem Grund habe ich sie auch gehen lassen und dem jungen Mann überantwortet, und aus diesem Grund werde ich mich auch in Zukunft von ihr fernhalten.“
    Ein melancholischer Zug trat auf sein schmales Gesicht.
    „Bitte lasst mich jetzt allein, mein Freund. Ich habe das dringende Bedürfnis, zu beten und meinem Herrn und Gott für Seine unendliche Güte zu danken.“
    Joinville begab sich in sein Zimmer, das direkt neben dem des Königs lag und etwas kleiner als dieses war. Er legte seine Kleider bis auf sein Untergewand ab und wusch sich Gesicht und Hände. Ein weiterer Tag, den er an der Seite des Königs von Frankreich hatte verbringen dürfen, neigte sich seinem Ende zu.
    Er legte sich in das große Bett und starrte an die Decke des Baldachins, die, von vier kunstvoll geschnitzten Pfosten getragen, über dem Bett schwebte. Die gut gefüllte Matratze ruhte auf quer gespannten Lederstreifen und war für seinen Geschmack schon fast zu weich. Er verzichtete darauf, die dicken Vorhänge, die um das Bett herumliefen, zuzuziehen, es würde doch nichts nützen. Die Wanzen würden so oder so ihren Weg zu ihm finden, aber er würde sich nach den langen Wochen in der freien Natur wenigstens nicht eingeengt fühlen.
    Er schloss die Augen und ließ den Tag noch einmal an sich vorüberziehen. Der König war nach seinem Sturz vom Pferd so schwer verletzt gewesen, dass er in größter Sorge um ihn gewesen war. Dann hatten sie dieses seltsame Mädchen getroffen, das in voller Unschuld und lichter Schönheit vor ihnen gestanden hatte, bis es von den dunklen Dämonen der Unterwelt in eine abschreckende Groteske verwandelt worden war. Von einem Moment auf den anderen war der König, der sich eben noch schwer auf ihn gestützt hatte, wieder vollkommen gesund gewesen.
    Es war tatsächlich ein Wunder geschehen, ein Wunder, dessen er selbst teilhaftig geworden war.
    Dass Ludwig dem Mädchen im Beisein des Bischofs seinen kostbaren Ring an den Finger gesteckt hatte, war in seinen Augen allerdings ein Fehler gewesen, und er konnte nur hoffen, dass die Familie des Mädchens genügend Einfluss besaß, um sich gegen die Nachstellungen Radulfus’ zur Wehr zu setzen.
    Denn dass der Bischof versuchen würde, das Geheimnis des Mädchens zu ergründen, stand für ihn fest. Aber was war eigentlich ihr

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