Die Bluterbin (German Edition)
drangen. Ein tiefes Glücksgefühl durchfuhr sie. Vor wenigen Wochen noch war sie ganz allein gewesen, und nur Elsa hatte ein wenig Wärme in ihr Leben gebracht.
Jetzt waren dagegen wie durch ein Wunder diese beiden Männer in ihr Leben getreten und brachten ihr Freundschaft und Anteilnahme anstelle von Ablehnung und Gleichgültigkeit entgegen.
Durch die Äste des knorrigen Baumes sah sie den tiefblauen Himmel leuchten, der das größte Geheimnis von allen vor den Augen der Menschen verbarg.
Kleine weiße Wölkchen zogen hoch über ihr vorbei, und sie fühlte sich wie eines von ihnen, getrieben vom Schicksal, dessen verschlungene Wege niemand außer dem Allmächtigen kannte. Da fielen auf einmal alle Ängste von ihr ab und ihr Gesicht begann vor Freude zu strahlen.
„Wir sind nicht allein, Gott ist bei uns, um über uns zu wachen. Ich kann Ihn spüren, Er ist überall um uns herum.“
Robert starrte sie fasziniert an, sie war so schön wie noch nie, und die Sorgen, die ihn eben noch gequält hatten, rückten in weite Ferne, als er ihr in die leuchtenden Augen sah.
Nur Bernard schien weniger begeistert zu sein. „Hoffentlich weiß Radulfus das auch“, bemerkte er trocken und holte die beiden damit wieder ins Hier und Jetzt zurück. Marie sah ihn an.
„Der Bischof hat gesagt, dass ich mich nicht vor ihm zu fürchten brauche und er sich nur um mein Seelenheil sorgt. Ich glaube nicht, dass er meinen Tod wünscht.“ Sie sprach voller Überzeugung.
„Es wäre besser für ihn, sich um sein eigenes Seelenheil zu kümmern“, knurrte Bernard. „Aber Vermutungen allein bringen uns nicht weiter. Wir müssen herausfinden, was er von Marie will. Erst dann können wir entscheiden, was zu tun ist. Immerhin wissen wir jetzt, dass er Marie beobachten lässt, und das bringt mich auf eine Idee.“ Triumphierend sah er Robert an. „Das nächste Mal, wenn Ihr Euch mit Marie trefft, werde ich ihn beobachten. Außerdem könnte ich versuchen, einen seiner Diener zu bestechen, vielleicht erfahren wir auf diesem Weg mehr. Doch dafür müsstet Ihr mir schon etwas Geld geben.“
Sie redeten noch eine Weile hin und her, schmiedeten Pläne und verwarfen sie wieder.
Marie beteiligte sich nicht mehr an ihrem Gespräch, hörte jedoch aufmerksam zu und stellte ihre eigenen Überlegungen an.
19
Der Gedanke an Marie ließ Radulfus nicht mehr los. Tagsüber war er gereizt und kaum noch ansprechbar, und in der Nacht quälten ihn düstere Träume. Rastlos lief er in seinem Arbeitszimmer auf und ab und war für niemanden zu sprechen.
Der Teufel hatte ihn fest umschlungen und zog ihn immer tiefer in sein schwelendes Höllenreich hinab, ohne dass er dagegen ankam. Namenloses Grauen packte ihn, als er daran dachte, was ihn nach seinem Tod erwarten würde. Dieses Mädchen in seiner unbefleckten Unschuld war seine letzte Hoffnung. Wenn sie den König geheilt hatte, würde sie auch seine Seele heilen können, und sein krankes Hirn klammerte sich an diese Möglichkeit wie ein Ertrinkender. Es musste ihm einfach gelingen, sie in seinen Besitz zu bringen. Allein der Gedanke, dass andere Männer sie mit ihren Blicken beschmutzen könnten, ließ ihn rasend werden.
Von seinem Spion hatte er erfahren, dass Marie sich mit zwei Schülern der Kathedrale getroffen hatte, und diese Tatsache gefiel ihm ganz und gar nicht.
Fieberhaft überlegte er, wie er seinen Plan, Marie in seine Gewalt zu bringen, in die Tat umsetzen konnte, ohne dabei unnötiges Aufsehen zu erregen.
Denn zu seinem großen Ärger hatten die reichen Kaufleute im letzten Jahr ja diesen verfluchten Beistandspakt mit den unabhängigen Klerikern und einigen der einflussreichsten Aristokraten der Stadt geschlossen. Und Jean Machaut war einer von ihnen.
Der König hatte aus taktischen Gründen zunächst in den Vertrag eingewilligt. Trotz des Machtverlustes erwuchsen ihm aus dieser Gründung gewisse finanzielle Vorteile, und er wollte weitere Streitereien zwischen der Stadtobrigkeit und der Kirche vermeiden, um sich ungestört den Vorbereitungen auf seinen Kreuzzug widmen zu können.
Doch er selbst dachte nicht daran, sich mit den vereinbarten, verringerten Einnahmen der Kirche zufriedenzugeben. Und um den Kaufleuten zu zeigen, welche Macht er trotz allem noch besaß, hatte er angefangen, ihre Handelswaren mit minderwertigem Geld zu vergelten, das er in der bischöflichen Münze schlagen ließ. Dadurch war es ihm zwar gelungen, einige der Kaufleute in den Ruin zu treiben, aber er hatte
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