Die Bluterbin (German Edition)
habe es Euch schon oft gesagt, Ihr seid so mit Eurem Studium beschäftigt, dass Ihr das wirkliche Leben ganz darüber vergesst.“ Bernard grinste breit. Seine Augen funkelten vergnügt. „Jetzt guckt nicht so entsetzt, Ihr habt ja mich, und ich weiß, wo es langgeht, vertraut mir einfach. Mir wird schon etwas einfallen.“
Im Ton eines Lehrmeisters begann er zu zitieren: „Nur durch Anschauen sehe ich nicht, welcher Art ein Gegenstand ist, genauso wenig wie ich spüre, wie ein Gegenstand schmeckt, wenn ich nur meine Augen einsetze, um ihn zu erkennen. Dennoch lassen sich Substanzen wahrnehmen.“
Seine Stimme klang ernst, als er weitersprach: „Machen wir einmal den Bischof zum Gegenstand unserer Betrachtung. Wir sehen ihn so, wie er möchte, dass wir ihn sehen, und wir hören nur, was er uns sagt, können aber nicht wissen, was er wirklich denkt. Wenn in seiner Stimme aber ein Hauch von Lüge mitschwingt und die Kälte in seinen Augen seine offenkundige Barmherzigkeit Lügen straft, können wir sein wahres Wesen trotzdem wahrnehmen.“
Robert musste wider Willen lachen.
„Das Studium hat Euch nicht so sehr geschadet, wie Ihr immer behauptet, und Ihr seht selbst, dass es auch Nutzen bringen kann. Das Schwert allein reicht nicht aus zum Sieg, gewinnen wird immer der Klügere mit der besseren Taktik und Strategie.“ Er erhob seine Stimme. „Denn der Glaube wird von der Weisheit beherrscht und regiert und von der Ritterschaft verteidigt.“
Robert war froh, dass er sich Bernard anvertraut hatte. Auch wenn er immer noch weit von der Lösung seines Problems entfernt war, tat ihm die Unbekümmertheit seines Freundes doch gut, und er fühlte sich weniger allein mit seinen Problemen.
Trotzdem wälzte er sich in dieser Nacht wieder unruhig auf seiner Lagerstätte herum. Wenn Radulfus tatsächlich ein Mörder war, befand sich Marie in großer Gefahr, und er war fest entschlossen, alles zu tun, was in seiner Macht lag, um sie vor dem Bischof zu schützen.
18
Am nächsten Tag fiel Robert beim gemeinsamen Mahl mit den Mönchen auf, dass Bruder Gregor ihn mehrmals nachdenklich ansah. Ob er irgendetwas wusste? Robert beschloss, ihn bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit darauf anzusprechen.
Vor allem aber brannte er darauf, Marie zu sehen, um sie nach Constance zu befragen, und sprach nach dem Essen mit Bernard darüber. Bernard bestand darauf, ihn zu begleiten. Er war neugierig darauf, Marie kennenzulernen. In der Hoffnung, dass sie zum Salzmarkt kommen würde, begaben sie sich pünktlich zur fünften Stunde dorthin.
Marie erwartete Robert bereits.
Sie hatte sich hinter einem der Stände verborgen, um zu verhindern, dass Radulfus sie noch einmal ansprach. Als sie Robert entdeckte, lief sie freudig auf ihn zu, blieb dann aber stehen und ließ ihre Augen fragend über den gut aussehenden jungen Mann an seiner Seite gleiten.
„Bernard ist mein Freund“, teilte ihr Robert mit, noch bevor er die beiden miteinander bekannt machte.
Bernard fühlte sich ganz seltsam, als Marie ihn aus ihren dunklen Augen ansah. Obwohl sie nicht dem Frauentyp entsprach, den er im Allgemeinen bevorzugte, war er von ihrer lichten Schönheit sehr schnell fasziniert und begann sowohl die Leidenschaft als auch die Sorge seines Freundes zu verstehen.
Marie drängte darauf, den Salzmarkt zu verlassen, zu tief saß der gestrige Schock über ihre Begegnung mit dem Bischof noch in ihr.
Sie fanden ein ruhiges Plätzchen in der Nähe der Stadtmauer, wo sie sich zu dritt unter einen Apfelbaum setzten. Vor ihnen lag, von Unkraut überwuchert, die Ruine eines abgebrannten Hauses. Marie hatte ihre Arme um die Knie geschlungen und beobachtete eine kleine grüne Raupe, die sich über einen Grashalm schlängelte.
Robert wartete, bis sie wieder aufsah.
„Es tut mir leid, dass ich Euch gestern habe warten lassen, aber Bruder Gregor gab mir den Auftrag, die Novizen zu beaufsichtigen.“
Marie sah ihn aus ihren unergründlichen Augen an.
„Der Bischof war gestern auf dem Salzmarkt, er stand plötzlich neben mir. Ich habe mich vor ihm gefürchtet, um ihn herum ist etwas Düsteres, er macht mir Angst.“ Sie sprach die letzten Worte so leise, dass Robert sich vorbeugen musste, um sie besser verstehen zu können.
„Was wollte er denn von Euch?“
Sein Gesicht wirkte gequält, denn es war offensichtlich, dass er zum zweiten Mal dabei versagt hatte, Marie zu beschützen.
„Er hat mich davor gewarnt, die Kathedrale zu betreten, und Euch hat er
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