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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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er ihm schließlich herablassend.
    Mit einem unguten Gefühl verließ Bruder Gregor den Raum und trat auf den Flur, wo ihm der Wachmann mit offenem Mund entgegengähnte. Bruder Gregor beachtete ihn nicht weiter. Nachdenklich begab er sich in die Kathedrale zurück.

21
    Der Schlüssel zur Krypta befand sich in der Sakristei. Bruder Gregor nahm ihn an sich und stieg die breite, in Stein gehauene Treppe hinunter. Die hohen bunten Glasfenster, die sich rings um den mit Säulen verzierten Gewölberaum zogen, tauchten die letzten Ruhestätten der Bischöfe in ein sanftes, warmes Licht. Bruder Gregor schlug ein Kreuz und lief an den Gräbern vorbei in den hinteren Teil der Krypta, wo ein fensterloser Gang zu einer weiteren Kammer führte, in der der Leichnam des letzten Erzbischofs in einem gut verschlossenen Bleisarg ruhte. Dort würde er so lange liegen bleiben, bis der Allmächtige den jetzigen Erzbischof zu sich rief. Erst dann würde er in allen Ehren bestattet werden und seinen endgültigen Platz neben seinen Vorgängern erhalten.
    Bruder Gregor nahm eine Talglampe von der Wand und betrachtete prüfend das Mauerwerk. Der geheime Gang musste hier irgendwo beginnen.
    Links neben dem Bleisarg endete der Gang bereits nach fünfzehn Fuß vor einer Mauer. Bruder Gregor wollte sich schon abwenden, um auf der anderen Seite weiterzusuchen, als sein Blick auf eine unscheinbare, schmale Türe fiel. Sie war ebenso wie die Türe in den Räumen des Bischofs so geschickt in der Mauer angebracht worden und lag zudem so tief im Schatten, dass man sie selbst dann noch übersah, wenn man direkt vor ihr stand. Er versuchte die Türe zu öffnen, doch sie war fest verschlossen.
    Für den Moment hatte er genug erreicht. Jetzt musste es ihm nur noch gelingen, an den Schlüssel zu kommen, dann konnten sie das Mädchen aus seinem Verlies befreien. Doch was würde dann sein? Der Sakristan überlegte weiter. Niemand würde Marie glauben, wenn sie den Bischof belastete. Und Radulfus würde Marie kurzerhand für besessen erklären und der Heiligen Inquisition übergeben.
    Sie hätte nicht die geringste Chance. Die einzige Möglichkeit, die ihr blieb, wäre, sofort nach ihrer Befreiung die Stadt zu verlassen.
    Doch dazu musste er erst einmal den Schlüssel finden und sie aus ihrem Gefängnis herauslassen.
    Bruder Gregor lief durch das Gewölbe und hatte die Treppe gerade erreicht, als ihm ein Gedanke kam. Er wandte sich um und ging noch einmal in die Kammer mit dem Bleisarg zurück.
    „Bitte, Herr, verzeih mir, was ich jetzt tun werde“, murmelte er und schlug ein Kreuzzeichen, „doch es bleibt einfach keine andere Möglichkeit“, setzte er zu seiner Rechtfertigung hinzu.
    Sein Herz pochte ungestüm, und seine Hände zitterten vor Aufregung und schlechtem Gewissen, als er sich an dem Bleisarg des vor einigen Jahren dahingegangenen Erzbischofs zu schaffen machte, vorsichtig das Wachssiegel brach und den schweren Sargdeckel öffnete. Der Schweiß rann ihm in Strömen über sein Gesicht, nachdem es ihm mit großer Anstrengung gelungen war, den Deckel anzuheben und zur Seite zu schieben.
    Hastig bekreuzigte er sich und schlug seinen Umhang über Gesicht und Nase, bevor er sich über den Leichnam des verstorbenen Bischofs beugte.
    An dem bereits halb verwesten Schädel des Erzbischofs hingen noch einige Haarbüschel und verliehen ihm etwas unerträglich Groteskes.
    Ein kaum zu ertragender, süßlich penetranter Verwesungsgeruch zog durch den Stoff hindurch in Bruder Gregors Nase und löste ein Würgen in seiner Kehle aus, das er nur mit großer Mühe unterdrücken konnte.
    Es war üblich, die Erzbischöfe mit all ihren Insignien, ihrem Schmuck und den Schlüsseln für die Kathedrale in den Sarg zu betten, zumindest bis zum eigentlichen Begräbnis.
    Er konnte nur hoffen, dass sich an diesem Brauch nichts geändert haben würde, und er hatte Glück. Als er den Umhang des Toten zurückschob, entdeckte er zu seiner großen Freude den Schlüsselbund an dessen Gürtel.
    In fliegender Eile nahm er ihn an sich und versetzte dem Sargdeckel einen kräftigen Stoß, durch den dieser krachend in seine ursprüngliche Lage zurückfiel.
    Mit letzter Kraft hielt der Mönch die Flamme der Talglampe an das Siegel und drückte das weich gewordene Wachs so weit zusammen, dass man nur noch bei genauem Hinsehen erkennen konnte, dass es bereits einmal gebrochen worden war.
    Dann stürzte er zurück in das Gewölbe und erbrach sich neben einer der Säulen. Langsam

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