Die Bluterbin (German Edition)
beruhigte er sich wieder, obwohl seine Hände noch immer zitterten. Bruder Gregor wusste, dass seine Tat schändlich war und dass er einen furchtbaren Frevel begangen hatte, und er konnte nur hoffen, dass ihm Gott diese schwere Sünde verzeihen würde. Er selbst schwor, bis ans Ende seiner Tage dafür Buße zu tun, sobald Marie in Sicherheit sein würde.
Auf dem Rückweg durch die Kathedrale hatte er das Gefühl, dass jeder der Gläubigen ihm ansehen konnte, welch schändliche Tat er gerade begangen hatte, und er war erleichtert, als er endlich am Ausgang angelangt war.
Aufgewühlt lief er so lange durch den weitläufigen Klostergarten, bis er sich einigermaßen wieder beruhigt hatte.
Der widerliche Verwesungsgeruch, der ihm aus dem Sarg entgegengeschlagen war, klebte wie ein giftiges Spinnennetz an ihm und ließ sich auch von dem frischen Wind nicht vertreiben, der ihm wohltuend ins Gesicht blies.
Die Sonne stand schon tief, als er die Kapelle lange vor dem vereinbarten Treffen mit Robert aufsuchte. Dort warf er sich vor dem Altar auf den kalten Steinboden und betete inbrünstig zum Herrn.
Er war so sehr in sein Gebet vertieft, dass er die schleichenden Schritte hinter seinem Rücken gar nicht wahrnahm. Er spürte nur den stechenden Schmerz, als seine Lunge von hinten durchbohrt wurde.
Rote Schleier stiegen vor seinen Augen auf, dann wurde es dunkel um ihn.
Robert hatte sich ebenfalls früher als vereinbart auf den Weg zu der kleinen Kapelle aufgemacht. Die Warterei zehrte an seinen Nerven, und er hatte sich kaum auf die Vorlesung konzentrieren können. Immer wieder waren seine Gedanken zu Marie gewandert, die sich völlig hilflos in den Händen dieser verbrecherischen Ausgeburt der Hölle befand.
Wie am Tage zuvor stand das Portal der Kapelle halb offen. In dem Halbdunkel des Mittelschiffs sah Robert Bruder Gregor auf dem Boden liegen. Die düstere Vorahnung, die ihn beim Nähertreten beschlich, verwandelte sich in blankes Entsetzen, als er den dunklen Fleck entdeckte, der sich auf der linken Seite des Mönches auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Er eilte auf Bruder Gregor zu und beugte sich über ihn. Seine schlimmsten Befürchtungen waren wahr geworden.
Bruder Gregors regloser Körper war noch warm, und behutsam drehte Robert ihn auf den Rücken. Der Schwerverletzte stöhnte leise auf.
Robert fasste ihn an der Schulter.
„Sagt mir, wer das getan hat, und ich werde Euch rächen“, stieß er von Verzweiflung gepackt hervor.
Bruder Gregor öffnete die Augen. Sein Blick war bereits glasig. Ein Schwall Blut floss aus seinem Mund und mit ihm der Rest Leben, der noch in ihm war.
„Krypta ... hinter ... Kammer ... habe Schlüssel“, brachte er leise abgehackt und für Robert kaum noch verständlich hervor, dann brachen seine Augen, und sein Kopf fiel zur Seite. Bruder Gregor war tot.
Mutlosigkeit überfiel Robert. Was sollte er jetzt nur tun?
Panik stieg in ihm hoch, als ihm schließlich klar wurde, dass man ihn für den Mörder halten würde, wenn man ihn hier entdeckte.
Er musste die Kapelle so schnell wie möglich verlassen.
Aber Bruder Gregor hatte etwas von einem Schlüssel gesagt. Hastig schob er die Kukulle des Toten zurück und öffnete den Lederbeutel, den er darunter fand. Tatsächlich befand sich darin ein Schlüsselbund. Er nahm ihn an sich und verschloss den Beutel wieder.
Danach wandte er sich ab und verließ die Kapelle. Er musste so schnell wie möglich mit Bernard reden. Er konnte immer noch nicht fassen, dass Bruder Gregor tot war. Mord war eine Todsünde, doch der Mord an einem Mönch in einer Kapelle direkt vor dem Altar war ein Frevel, für den es keine Worte mehr gab. Nur jemand, der weder den Zorn des Herrn noch die ewige Verdammnis fürchtete, war in der Lage, etwas so Schreckliches zu tun. Mittlerweile war es fast dunkel, und Robert gelangte ungesehen zu seiner Unterkunft zurück. Er hatte Glück, denn als er dort eintraf, trat Bernard gerade aus der Tür des schlichten Steinhauses heraus, das ihnen während ihrer Studienzeit als Unterkunft diente.
Er hatte vorgehabt, eine der Schenken zu besuchen, gab sein Vorhaben jedoch auf, nachdem er im Licht der Fackeln einen kurzen Blick auf Roberts verstörtes Gesicht geworfen hatte.
„Was ist geschehen? Ihr seht aus, als wäret Ihr dem Leibhaftigen persönlich begegnet.“ Robert zog ihn von dem Haus fort. Er redete schnell und aufgeregt, denn er befürchtete, verfolgt zu werden.
„Ihr werdet nicht glauben, was geschehen ist.
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