Die Bluterbin (German Edition)
Bruder Gregor ist ermordet worden. Ich habe ihn gefunden. Er lag in der Kapelle direkt vor dem Altar.“
Eine Gruppe Novizen kam vorbei und sah neugierig zu ihnen herüber.
Sofort senkte Robert seine Stimme.
„Er konnte mir gerade noch sagen, wo Marie gefangen gehalten wird und wo sich der Schlüssel zu ihrem Versteck befindet. Ihr müsst mir helfen. Wir müssen sie so schnell wie möglich aus den Händen des Bischofs befreien.“
Und hastig unterrichtete er Bernard über alles, was in den letzten beiden Tagen geschehen war.
Bernard hörte ihm mit großen Augen zu.
„Wenn es uns tatsächlich gelingt, Marie zu befreien, was werdet Ihr dann tun?“
„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, gab Robert ehrlich zu.
„Der Bischof wird nicht zulassen, dass jemand etwas von seinen schändlichen Taten erfährt. Er wird Zeugen benennen, und niemand wird Euch glauben.“ Beschwörend blickte er den Freund an.
„Ihr müsst sofort die Stadt verlassen. Es ist die einzige Möglichkeit, die Euch bleibt, wenn Ihr das Mädchen und auch Euch nicht in noch größere Gefahr bringen wollt.“
„Ihr habt recht, doch jetzt kommt. Wir müssen in die Kathedrale, bevor sie verschlossen wird.“
Im Schatten der Häuser liefen die beiden Freunde bis zu einem der Seiteneingänge der Kathedrale, in der sich um diese Zeit nur noch wenige Menschen aufhielten. Während die letzten Besucher das Gotteshaus verließen, wurden nacheinander alle Kerzen, bis auf das ewige Licht vor dem Altar, gelöscht. Robert verbarg sich mit Bernard im Seitenschiff hinter einer der mächtigen Säulen.
Sie lauschten dem schlurfenden Gang des Bruders, der, kaum dass er die letzte Kerze ausgemacht hatte, sorgfältig einen Eingang nach dem anderen verschloss. Bevor er ging, ließ er noch rasch zwei der teuren Wachskerzen unter seinem Umhang verschwinden.
Dann waren Robert und Bernard allein. Die Kathedrale wirkte düster und kalt.
Bernard folgte Robert zur Krypta, die sie unverschlossen vorfanden. Nebeneinander stiegen sie die breite Treppe hinunter und liefen durch das Gewölbe. Es war ein beklemmendes Gefühl, sich in der alles beherrschenden Dunkelheit seinen Weg mit den Füßen ertasten und suchen zu müssen.
Robert griff nach einer Talglampe und entzündete sie. Doch das flackernde Licht warf lange Schatten auf die Gänge und Säulen und verstärkte ihre Beunruhigung eher, als dass es sie minderte, und Bernard spürte, wie ihm ein kalter Schauer den Rücken herunterlief.
Endlich hatten sie die Kammer mit dem Bleisarg des verstorbenen Bischofs erreicht, und Robert sah sich suchend in ihr um. Er war nur noch von dem Gedanken beseelt, Marie zu finden. Nichts anderes war mehr von Bedeutung. Dabei verließ er sich ganz auf seinen Instinkt und bewegte sich mit der untrüglichen Sicherheit eines Jägers, der seine Beute bereits lange, bevor er sie sehen konnte, erahnte.
„Hier muss es irgendwo sein“, stellte er fest. Mit der Talglampe vor sich schritt er die Mauer ab und entdeckte nach einigem Suchen die schmale Türe. Er zog den Schlüsselbund, den er bei Bruder Gregor gefunden hatte, hervor und probierte einen Schlüssel nach dem anderen aus, bis er den passenden Schlüssel schließlich gefunden hatte.
Als sie die Türe aufstießen, schlug ihnen feuchte Kälte entgegen, und ein dunkler Gang, an dessen Wänden Wasser herabtropfte, erwartete sie.
Robert ging voran. Seine Sinne waren aufs Äußerste gespannt.
Nach einer Weile teilte sich der Gang, und Robert blieb stehen und versuchte, sich zu orientieren.
„Ich glaube, wir müssen hier entlang. Der Bischofspalast liegt in dieser Richtung“, flüsterte er Bernard zu, der direkt hinter ihm ging. „Der andere Gang wird wahrscheinlich aus der Stadt hinausführen.“
Bernard klopfte das Herz bis zum Hals, während Robert eine eiserne Ruhe ausstrahlte, die ihm fast schon selbst unheimlich vorkam. Nicht einmal ein ganzes Heer, auch nicht der Leibhaftige persönlich würden ihn jetzt davon abhalten können, Marie zu befreien.
Immer wieder huschten Ratten über ihre Füße hinweg. Sie gingen und gingen, und als sie schon längst jedes Zeitgefühl verloren hatten und nicht mehr wussten, wie lange sie schon unterwegs waren, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts eine steile Treppe vor ihnen auf.
„Wenn Bruder Gregor recht hatte, sind wir zu weit gelaufen. Wir müssen irgendwo eine Abzweigung übersehen haben.“ Robert wandte sich um, und sie liefen langsam zurück. Irgendwo in der Nähe
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