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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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seine Amtsgeschäfte nur noch gleichgültig, als würde ihn das alles nichts mehr angehen.
    Seine Gedanken drehten sich nur noch um Marie, und seine Ungeduld wuchs mit jedem Tag, der vorüberging, ohne dass er etwas von ihr oder Otto gehört hatte.
    Marie und Robert zogen indes mit dem Strom von Pilgern weiter. Seitdem Marie aus ihrer anfänglichen Erstarrung erwacht war, hatte sich ihre Beziehung zueinander unmerklich geändert.
    Die unbefangene Vertrautheit, die vorher zwischen ihnen geherrscht hatte, war verschwunden. Wenn Robert sie ansah, begann ihr Herz heftig zu klopfen, und oft hatte sie den unwiderstehlichen Wunsch, von ihm berührt zu werden. Sie war zur Frau geworden und konnte nicht verhindern, dass ihre langsam erwachende Weiblichkeit auf den Mann an ihrer Seite reagierte.
    Es war eine neue Erfahrung, verwirrend und schön zugleich, die ihre Erinnerungen an die schrecklichen Erlebnisse verblassen ließ.
    Sie liebte alles an Robert; sein Lächeln genauso wie seine Gedanken und seine liebevolle unaufdringliche Art. Manchmal, wenn sie davon träumte, dass er sie in seine Arme zog, war sie am nächsten Morgen ihm gegenüber abweisend und schweigsam. Es war die einzige Möglichkeit für sie, sich zur Ordnung zu rufen. Es durfte einfach nicht sein, da sie beide jemand anders versprochen waren, und Marie wusste, dass allein der Gedanke, in Robert mehr als einen treuen Gefährten zu sehen, nicht recht war.
    Robert ahnte, was in Marie vorging, denn auch ihm fiel es jeden Tag schwerer, in Marie noch das kleine Mädchen zu sehen, das sich ihm bedingungslos anvertraut hatte.
    Weder Marie noch Robert achteten während des Zuges auf die neugierigen Blicke, die ihnen folgten. Sie waren umgeben von barfüßigen, unrasierten Pilgern, von denen einige ihre Frauen und Kinder dabeihatten, sowie von Bauern auf Eseln oder Ochsengespannen, von Kaufleuten, die sich zu Schutzgemeinschaften zusammengeschlossen hatten, und von Menschen, die, wie sie, auf der Flucht waren oder als Buße für ein Verbrechen, das ihnen keine Ruhe mehr ließ, rastlos umherwanderten.
    Marie kümmerte sich um jeden, der krank oder leidend war. Sie heilte einen Wanderprediger von seinem Blasenleiden, der ihr aus lauter Dankbarkeit dafür die Füße küsste und ihr bei dieser Gelegenheit blitzschnell ein Stück Stoff aus ihrem Gewand schnitt, dann einen Bettler, dessen Hände von der Gicht so verkrümmt waren, dass er sie kaum noch gebrauchen konnte. Einen Kaufmann befreite sie von seinem quälenden Magenleiden, sodass dieser daraufhin seine gesamte Ware an das am Weg liegende Kloster verschenkte und sich den Pilgern anschloss, und ein altes Weib erlöste sie von ihren Kopfschmerzen, die so schrecklich gewesen waren, dass sie ihre Stirn wie eine Besessene immer wieder gegen ein Holzscheit geschlagen hatte.
    Einmal kamen sie an einem Pranger vorbei, an dem eine Frau hing, die so entsetzlich zugerichtet war und einen solch erbärmlichen Anblick bot, dass Marie vor lauter Mitleid mit ihr in Tränen ausbrach, bevor sie das Bewusstsein verlor.
    Robert bemerkte voller Sorge, wie Marie mit jeder Heilung schwächer wurde, bis sie sich schließlich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    Er schlug daher vor, Paris zu umgehen und den weniger überfüllten Weg in Richtung Reims zu nehmen. Von dort aus konnten sie, nach Aussage eines Kaufmannes, über Laon in die Grafschaft Flandern gelangen.
    „Das ist kürzer, aber auch gefährlicher“, hatte der Kaufmann sie gewarnt. „Ihr dürft auf keinen Fall vom Weg abweichen. Es ist auch nicht ratsam, in den Wäldern dort zu übernachten, es sei denn, Ihr könnt Euch einer größeren Gruppe von Reisenden anschließen.“
    Die Worte des Kaufmanns gingen Robert nicht mehr aus dem Kopf, und er überlegte ernsthaft, ob sie das mit der Abkürzung verbundene Risiko eingehen sollten.
    Gegen Mittag löste sich eine Frau im Pilgergewand aus der Menge hinter ihnen, stürzte außer sich vor Angst auf Marie zu und sank vor ihr auf die Knie.
    „In Gottes Namen, kommt schnell. Mein Kind stirbt.“
    Die Gerüchte über Maries Heilkräfte hatten sich rasend schnell verbreitet. Fremde Menschen kamen zu Marie, um ihr Gewand zu berühren oder sie um eine Haarsträhne zu bitten, die sie anschließend wie eine Kostbarkeit aufbewahrten. Sie alle verehrten Marie wie eine Heilige. Angebliche Augenzeugen schmückten die Geschichten von den wundersamen Heilungen immer weiter aus, bis auch noch der letzte Zweifler davon überzeugt war, dass die

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