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Die Blutgabe - Roman

Die Blutgabe - Roman

Titel: Die Blutgabe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
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es längst dämmerte. Sein erster Weg führte ihn ins Gästezimmer, wo Katherine noch immer schlief. Eine ganze Weile stand Cedric bewegungslos an ihrem Sarg und sah auf sie herunter. Nachdem sie gegen Mittag in ihrer Vision das Bewusstsein verloren hatte, hatte er die Fesseln gelöst und ihre Wunden versorgt. Er hatte sich darum gekümmert, dass die neu entdeckten Erinnerungen sie nicht in ihrer Ruhe stören würden, solange er sich im Archiv aufhielt – und nun konnte er es einfach nicht über sich bringen, sie zu wecken. Dabei war es höchste Zeit, nach White Chapel zurückzukehren.
    Cedric rieb sich müde durchs Gesicht. Was für eine Nacht. Was für ein Tag! Erst die Sache mit Kris. Dann die Reaktivierung von Katherines Vergangenheit, die trotz aller zur Schau gestellten Gelassenheit mehr an seinen Nerven gezerrt hatte, als er eingestehen mochte. Und zu guter Letzt die Nachforschungenim Archiv, die ihm so viele Erkenntnisse und Zusammenhänge deutlich gemacht hatten, dass er sich noch immer ganz benommen fühlte. Cedric konnte sich kaum erinnern, wann er zuletzt so viel Aufregung in so kurzer Zeit hatte durchstehen müssen. Zum ersten Mal seit Jahren hatte er das Bedürfnis, ein paar Stunden zu schlafen. Aber bis er dafür Zeit fand, würde es noch mehrmals Morgen und wieder Abend werden.
    Er sollte sich nicht beschweren, dachte er und seufzte leise. Die letzten Stunden waren anstrengend, aberüberaus lehrreich gewesen. Und auch die Sitzung mit Katherine war zweifellos als Erfolg zu werten. Sicher war es für sie eine unangenehme Erfahrung. Aber dass sie nun ihren wahren Namen hatten, eine Adresse und dazu noch den Hinweis auf ein Tagebuch, das Katherine offenbar geführt hatte – das war mehr, als Cedric je zu hoffen gewagt hätte. Katherine war die älteste Progressive, von der Cedric bisher gehört hatte. Wenn man den geschichtlichen Verlauf der Bluterepidemie betrachtete, vermutlich sogar eine der ältesten Progressiven überhaupt auf der Welt. Und wenn es einen Weg gab, ihre Verwandlung zum Vampir nachzuvollziehen, dann konnte das mit etwas Glück entscheidende Schlussfolgerungen für die Forschung ermöglichen. Der Gedanke ließ beinahe so etwas wie Euphorie in Cedric aufsteigen, obwohl er natürlich wusste, dass es für solchen Enthusiasmus noch viel zu früh war. Es war gut möglich, dass das Tagebuch bereits nicht mehr existierte. Und selbst wenn es existierte, mussten sie es trotzdem zuerst finden – und bergen, was vielleicht die größte Schwierigkeit darstellte. In die Dirty Feet zu kommen war nicht leicht und vor allem nicht ungefährlich. Die Vampire, dort waren ausnahmslos Bluter, die ihren Verstand noch nicht wiedergefunden hatten. Bluter, diesich gegenseitig anfielen und keine Unterschiede zwischen Menschen und Vampiren ausmachen konnten. Und dann – die Bluter, die selbst einmal konservative Vampire gewesen waren, dumm genug, die Dirty Feet ohne entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu betreten. Der Biss eines Progressiven bedeutete Infektion und Wahnsinn. Auch für Vampire.
    Gedankenverloren legte Cedric die Hand an seine Schulter, wo der Kittel die Narben verbarg, die Katherines Zähne vor fünf Jahren hinterlassen hatten. Er hatte das Blut, das sie bei dem Biss in seine Adern injiziert hatte, in seinen Augen konzentriert, so dass es sich nicht in seinem Körper ausbreiten konnte. Nur seine Iris hatte ihre ursprünglich grünbraune Färbung verloren, war gelb geworden, ohne Cedric weiter zu beeinträchtigen. So hatte er sich mit Hilfe seiner Gabe retten können. Aber ob ihm das ein zweites Mal gelingen würde, wusste Cedric nicht.
    Er seufzte leise. Natürlich würden sie versuchen, in die Dirty Feet vorzudringen, ganz gleich, wie gefährlich es war. Doch selbst wenn sie es schafften, das Tagebuch an sich zu bringen, hieß das noch immer nicht, dass es die ersehnten Erkenntnisse liefern würde.
    Aber so lange er nicht den Gegenbeweis in der Hand hielt, dachte Cedric, konnte er sich wohl erlauben, ein bisschen zu träumen.
    Mit einem letzten Seufzer wandte er sich ab. Er würde an die Arbeit gehen, bevor er sich Gedanken über die weiteren Schritte machte. Und er würde Katherine schlafen lassen. Sie hatte sich die Ruhe verdient.
     
    Auf dem Weg zu seinem Büro sah er schon von weitem, dass jemand auf dem Gang auf ihn wartete. Die schlanke Gestalthatte sich an die Wand neben der Tür gelehnt und erweckte den Anschein vollkommener Gelassenheit. Aber Cedric ließ sich davon nicht täuschen.

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