Die Blutgabe - Roman
Phantasie in die Tat umzusetzen – aber es war zweifellos aufregend, es sich vorzustellen.
Möglich, dass ihn aus diesem Grund die Worte des Doktors so nachdenklich gestimmt hatten. Weil sie eine Wahrheit beinhalteten, ohne dass er selbst sich dessen bewusst gewesen war.
Er trank wenig, um einen Kontrollverlust zu provozieren?
In diesem Licht betrachtet, dachte Kris, war der Gedanke gar nicht so abwegig. Zugegeben – es wäre interessant zu sehen, was passieren würde.
»Tut mir leid«, knirschte Katherine durch zusammengebissene Zähne. Kris konnte beinahe hören, wie sie sich selbst dafür verwünschte, ihr Misstrauen so offen gezeigt zu haben. »Darauf hätte ich auch selbst kommen können.«
Kris hob die Schultern. »Schon in Ordnung. Du kannst mich immer alles fragen, Katherine. Da solltest du keine Hemmungen haben.«
Katherine lachte spöttisch. »Ja, das glaube ich gern.« Ihr spitzes Kinn reckte sich energisch nach vorn. »Ich habe keine Angst vor dir, Kris, wenn es das ist, was du denkst.«
»Das habe ich doch gar nicht behauptet.« Kris lächelte und trat einen Schritt näher an sie heran. Sofort spürte er, wie sie innerlich zurückwich. Aber sie hielt seinem Blick stand und hob nur leicht die Oberlippe, so dass ihre langen Eckzähne zu sehen waren.
»Ich hatte eher den Eindruck, du bist möglicherweise zu schüchtern, um zu sagen, was du denkst.«
Katherine zischte und verschränkte wie zum Schutz die Arme vor der Brust. »Schüchtern. Dir gegenüber. Und welchen Grund sollte ich dafür haben?«
Kris betrachtete sie nachdenklich. Beinahe tat sie ihm leid, wie sie dort stand und mit sich selbst kämpfte. Er war ihr zu nah. Und gleichzeitig konnte er in ihren Augen sehen, wie sie mit dem Wunsch rang, er würde noch näher kommen.
Er neigte sich nach vorn, so weit, dass seine Wange fast die ihre berührte, und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Vielleicht, weil du mich magst.«
Sekundenlang blieb sie still. Ihr Atem bebte, als er heiß ihren Hals streifte.
»Schäm dich«, wisperte Katherine.
Kris unterdrückte ein Lachen und trat einen Schritt zurück.
Mit eisigem Blick starrte Katherine ihn an. Ihre Brust hob und senkte sich schwer.
»Lass das sein«, sagte sie kalt.
Kris schob die Hände in seine Hosentaschen. Katherine als ältere Bluterin war ihm weit überlegen, was Kraft, Gewandtheit, Ausdauer oder Schnelligkeit betraf. Aber ihr Geist war empfindlich, das hatte sie gerade wieder eindrücklich bewiesen. Kris hatte sich schon des Öfteren gefragt, ob das an ihrer progressiven Abstammung lag. Janet zumindest reagierte ähnlich sensibel auf seine Stimme. Aber es gab zu wenige bewusste Bluter in Kris’ Umfeld, als dass er gewagt hätte, eine allgemeine Aussage zu treffen.
»Keine Angst also«, wiederholte er ihre Worte halblaut und entschied, das Thema fallen zu lassen. Sonst würde er sich womöglich zu einem Spiel hinreißen lassen, das viel zu riskant war, wenn er weiter hier arbeiten wollte.
»Übrigens, wo ich dich gerade sehe. Cedric lässt fragen, ob wir genügend Menschen haben, um diesen Monat noch einen zweiten Progressiven als Versuchsobjekt einzusetzen.«
Katherines Stirn kräuselte sich. Der plötzliche Themenwechsel war ihr offensichtlich nicht geheuer. »Wofür, wenn ich fragen darf?«
»BRA-46. Und eventuell ab nächster Woche BRA-47, je nachdem wie die Tests laufen.«
»Hm. Nur unter der Bedingung, dass die 159 ab jetzt keine Menschen mehr bekommt.«
Kris dachte einen Moment darüber nach. Das war nicht die Antwort, die er sich erhofft hatte. Blue sollte in Zukunft von Konserven ernährt werden? Das war nicht gut. Für die Tests spielte es wahrscheinlich keine Rolle. Aber Kris lag es nun einmal persönlich am Herzen, dass sie bald ihr Bewusstsein zurückerlangte. Möglichst, bevor Cedric Gelegenheit hatte, sie in der Anstalt anzumelden. Kris hatte nicht viel Gutes über diesen Ort gehört, und er wollte unter allen Umständen verhindern, dass Blue dorthin gebracht würde.
»Das wäre für die Entwicklung nicht gut, stimmt’s?«
Die Falten auf Katherines Stirn vertieften sich. »Keine Sonderbehandlungen, Kris. Das habe ich dir von Anfang an gesagt.«
Kris biss sich auf die Lippe. Die ganze Angelegenheit gestaltete sich doch schwieriger als erwartet. Aber wenn er nun … »Und wenn ich ab und zu einen Streuner aus der Stadt besorge?«
Es geschah selten genug, dass die Jäger der
Bloodstalkers
einen Menschen aufscheuchten, und in neunundneunzig Prozent
Weitere Kostenlose Bücher