Die Blutgabe - Roman
bedächtigen Bewegung nach der Blutkonserve. Sein Gesicht war nun wieder so undurchsichtig wie zu Anfang ihres Gesprächs.
»Du hast mein Wort. Ich werde mich bessern.«
»Gut.« Cedric nickte und entschied sich, nicht weiter auf dem Thema zu beharren. Mehr Zugeständnisse konnte er an diesem Abend wohl kaum erwarten. »Dann trinken wir darauf. Auf Zeit und Blut.«
»Auf Zeit und Blut«, murmelte Kris, doch es klang ein wenig widerwillig. Dann senkte er langsam seine Zähne in die gekennzeichneten Stellen des Päckchens.
Für eine kurze Weile war es still, während sie beide tranken.
Schließlich legte Kris die leere Konserve zurück auf den Tisch. Sein dunkler Blick traf Cedrics. Etwas Nachdenkliches schien darin zu liegen, das sich jedoch nicht ganz an die Oberfläche wagte.
»Vermisst du es denn nicht?«, fragte er endlich halblaut, als Cedric schon kurz davor war, ihr Treffen kurzerhand zu beenden. Kris’ Stimme klang zögernd, als sei er sich nicht sicher, ob es klug war, diese Frage zu stellen. »Wahres Blut zu trinken?«
Cedric stieß die Päckchen in den Mülleimer hinunter und sah ihnen nach, um seine Überraschung zu verbergen. Dunkelrote Tropfen bespritzten das zerknitterte Papier mit denvielen Nullen. Diese Frage hatte er nicht erwartet, und sie beunruhigte ihn mehr, als er zugeben mochte. Sie ließ Bilder und Erinnerungen in seinem Kopf auftauchen, die er in White Chapel niemals zu sehen gehofft hatte. Bilder wie die, die schon vor Jahrzehnten die Gedanken zahlloser Vampire vergiftet und den grausamsten Krieg in der gesamten Vampirgeschichte provoziert hatten. Am liebsten hätte Cedric sich geschüttelt, um das Frösteln zu vertreiben, das mit eisigen Fingern über seine Wirbelsäule strich. Doch er zwang sich, ruhig zu bleiben. Dies war eine Sache, der er nachgehen musste. Aber nicht mit Gewalt.
»Natürlich vermisse ich es«, erwiderte er endlich langsam. »Wer tut das nicht? Aber wenn ich dir einen Rat geben soll, Kris …« Er verengte die Augen und sah den jüngeren Vampir eindringlich an. »Lerne, die Dinge zumindest für eine Weile so hinzunehmen, wie sie sind. Die Welt wird sich weiter verändern. Es gibt im Leben nicht viele Gewissheiten, aber das ist eine von ihnen. Du stehst noch ganz am Anfang der Unsterblichkeit und hast trotzdem schon so viel Wandel miterlebt. In hundert Jahren wirst du wieder eine ganz andere Welt sehen. Und bis dahin kannst du dir deine Zeit damit vertreiben, daran zu arbeiten, dass dieser Wandel nach deinen Vorstellungen verläuft. Nur wirst du das nicht durch ein Verhalten erreichen, das dir und anderen schadet – so wie wissentlich zu wenig zu trinken oder zu schlafen und einen Kontrollverlust über deine Gabe zu provozieren. Erkenntnisse treiben den Wandel voran und die Art, wie man Konsequenzen aus ihnen zieht. Erkenntnisse, Kris. Das ist es, wonach du suchen musst, wenn du etwas ändern willst. Dafür sind wir schließlich Wissenschaftler.«
Kris hatte seiner kleinen Rede aufmerksam gelauscht.Schweigend blieb er noch einige Augenblicke sitzen, und Cedric konnte sehen, wie er über das Gehörte nachdachte.
»Ich muss gleich ins Labor zurück«, sagte er schließlich, und, verglichen mit vorher, klang seine Stimme eigentümlich nackt. »Aber ich würde über dieses Thema gern noch ausführlicher reden. Wäre es möglich, dass du dafür irgendwann noch einmal Zeit findest?«
Cedric warf ihm einen verblüfften Blick zu. Diese Antwort war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. »Sicher«, erwiderte er und hob vielsagend die Brauen. »Meinetwegen können wir gern ab und an hier zusammenkommen und gemeinsam trinken.«
Kris nickte und stand auf. »Danke dir. Dann mache ich mich jetzt wieder an die Arbeit.«
Cedric beugte sich vor und lehnte die Unterarme auf die Tischplatte, um ihn ein letztes Mal eindringlich zu mustern. »Tu das. Viel Erfolg.«
Ein Lächeln huschte über Kris’ Gesicht. »Den wünsche ich uns auch.«
Dann wandte er sich endgültig ab. Und kurz darauf war Cedric wieder allein.
Kapitel Zwei
Forschungsstation White Chapel, Kenneth, Missouri
Eine gute Stunde später nahm Kris den Fahrstuhl ins zweite Stockwerk, um Versuchsobjekt Nr.159 Blut für die Tests abzunehmen. Er war froh über diesen Vorwand – er hatte ohnehin nach ihr sehen wollen. Aber so, wie die Dinge standen, war es sicher keine gute Idee, Katherine noch misstrauischer zu machen, als sie es schon war. Sich ohne guten Grund im zweiten Stockwerk herumzutreiben
würde
sie
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