Die Blutgabe - Roman
gut, auch wenn er nur dieses eine Mal von ihr getrunken hatte. Bevor dieser Bluter in Kenneth sie vergiftete, so dass Kris nun für den Rest aller Zeiten auf sie verzichten musste.
Er schloss die Augen, um die Dunkelheit in seinen Worten zu sammeln, bevor er weitersprach. Zumindest die Angst wollte er ihr nehmen.
»Dir wird jetzt nichts mehr geschehen«, versprach er und fühlte sie erzittern, als seine Stimme sich wie eine weiche Decke über sie legte. »Aber wir müssen uns beeilen. Wenn Red herkommt, wollen wir schließlich nicht, dass du ihn einfach auffrisst, nicht?«
»Nein …«, wiederholte Blue tonlos, »das wollen wir nicht.«
Kris kraulte ihren Nacken, den feinen Flaum ihres Haaransatzes. Natürlich sprach sie im Moment einfach nur nach, was er ihr vorsagte. Aber mit ein wenig Glück würde sie sich auch später noch daran erinnern.
»Céleste sagt, er ist sehr stark«, fuhr er nachdenklich fort und ließ seine Finger ihre Kehle hinunter zur Grube über ihrem Schlüsselbein und dem knochigen Hügel ihrer Schulter wandern. »Hast du das gewusst? Bestimmt, nicht wahr? Sonst hättest du ihn dir nicht ausgesucht. Falls er tatsächlich meine Quelle wird, habe ich allen Grund, dir dankbar zu sein.«
»Stark …« Blues Atem kitzelte seinen Hals. »Sehr stark.«
»Ja, das ist er wirklich. Aber er muss noch viel stärker werden.Und du auch. Damit du bald wieder selbst denken kannst. Aber keine Sorge. Ich werde ihn nicht zu dir lassen, bevor es soweit ist.«
Blue schwieg. Kris spürte ihr Herz unruhig schlagen. Kein Wunder. Sie war durstig. So viele Nächte hatte sie immer um die gleiche Zeit einen Menschen bekommen. Und heute – nichts. Speichel troff aus ihrem Mundwinkel und hinterließ feuchte Flecken auf dem Kragen seines Kittels. Er konnte nicht länger bleiben, obwohl er es sich gewünscht hätte. Aber er durfte sich hier nicht erwischen lassen.
Ein letztes Mal griff er nach der Dunkelheit in seinem Inneren, um Blues gequälte Gedanken sanft damit zuzudecken.
»Ganz ruhig, Liebes. Ich muss jetzt gehen. Aber Katherine wird gleich hier sein.« Er schob sie von sich und drückte sie in ihre Kissen, bevor er die Decke über sie breitete. »Sie bringt dir Blut.«
Ein schwaches Fauchen entwich Blues Kehle, doch sie rührte sich nicht.
Kris richtete sich auf. »Ich komme später wieder. Jetzt schlaf ein wenig.«
Folgsam, als ob sie seinen Worten gehorchten, sanken Blues Lider herab. Ein letztes Mal strich Kris ihr durch die wirren Haare.
»Gute Nacht«, flüsterte er.
Dann verließ er leise das Zimmer.
Als Kris auf den Gang trat, musste er die Augen gegen das grelle Neonlicht zusammenkneifen. Einige Momente lang blieb er stehen, bis er sich an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatte. Dann machte er sich mit langsamen Schritten auf den Weg zurück zum Fahrstuhl.
Er war schon fast am Ende des Gangs angelangt, als er hinter sich eine Tür aufgehen hörte.
Katherine.
Kris presste die Lippen zusammen und ging weiter. Vielleicht würde sie ihn nicht beachten. Aber noch während er das dachte, wusste er, dass es eine vergebliche Hoffnung war.
Katherine würde niemanden einfach gehen lassen, der ohne ihr Wissen in ihr Reich eindrang.
»Kris?«
Er blieb stehen und zwang sich zu einem Lächeln, während er sich umdrehte. »Hallo, Katherine.«
Sie kam auf ihn zu, die Augen misstrauisch verengt. »Was machst du um diese Zeit hier oben? Cedric sagt, heute sind keine Tests.«
Kris griff in seine Tasche und holte das Röhrchen mit Blues Blut daraus hervor.
»Blutproben holen«, sagte er. »Von der 159. Pei Lin und Janet können unten gerade nicht weg.«
Er sah, wie sich Katherines Züge widerwillig glätteten. Es war seltsam, wie empfänglich sie für seine Gabe war, dachte Kris. Heute, nach seinem Gespräch mit dem Doktor, war ihm das besonders bewusst. Sie schaffte es nie, an seinen Worten zu zweifeln, ohne dass er sich je ernsthaft darum bemüht hatte – und das, obwohl sie alt und mächtig genug war, hinterher genau zu wissen, was seine Stimme mit ihren Gedanken angestellt hatte. Was würde wohl geschehen, wenn er seine Kraft gezielt bei ihr einsetzte, fragte er sich beiläufig. Von was würde er sie alles überzeugen können? Was würde sie alles für ihn tun? Kris spürte, wie bei dem Gedanken ein Kribbeln durch seinen Körper floss. Die Vorstellung einer willenlosen, gehorsamen Katherine hatte etwas zugleich Absurdes undVerlockendes. Natürlich würde Kris niemals dumm genug sein, diese
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