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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schwärende Wunde darauf hinterlassen, die nie wieder verheilen würde.
Doch der mörderische Würgegriff des Entsetzens ließ allmählich
nach und seine Gedanken begannen sich zu klären.
Mühsam stemmte er sich auf die Ellbogen hoch und kroch ein
Stück von der reglos daliegenden Gestalt fort, bevor er es wagte, den
Kopf zu drehen. Er fürchtete sich davor, den Leichnam des Nubiers
anzusehen.
Als er es endlich tat, merkte er, dass inzwischen eine geraume Weile vergangen sein musste. Das Blut, das aus Abu Duns Wunden geströmt war und seine Kleider durchtränkt hatte, war bereits eingetrocknet. Abu Duns abgeschlagene Hand hatte sich im Tod zu einer
Faust geballt, die drohend in seine Richtung wies. In seinen erloschenen Augen lag ein Ausdruck, den Andrej zuvor nicht gesehen
hatte: Erstaunen und ein leiser Vorwurf, der zweifellos ihm galt.
Andrej wusste, dass das ausgeschlossen war. Der Ausdruck in Abu
Duns Augen musste derselbe wie bei allen Toten sein, die er gesehen
hatte. Dasselbe fassungslose Erstaunen, das jeder im letzten Augenblick des Lebens empfand. Den Vorwurf in Abu Duns Blick bildete
er sich nur ein, weil er wusste, dass er seinen Freund verraten hatte.
Sie hatten es niemals laut ausgesprochen, aber sie waren beide stets
davon überzeugt gewesen, dass sie eines Tages gemeinsam sterben
würden. So, wie sie ihre Kämpfe gemeinsam gekämpft hatten, weil
sie geschworen hatten, das Leben des anderen mit dem eigenen zu
verteidigen, wenn es sein musste. Das war oft genug geschehen, aber
nun war Abu Dun tot, und Andrej lebte. Er fühlte sich wie ein Verräter, der sein Wort gebrochen und seinen Freund im Stich gelassen
hatte.
Andrej stand auf und ging zu den beiden anderen Toten.
Es waren Staniks Brüder. Beide waren mit einem einzigen, raschen
und präzisen Schwerthieb getötet worden, der ihr Genick durchtrennt
hatte, ohne sie ganz zu enthaupten. Sie waren nicht einmal mehr dazu
gekommen, ihre Waffen zu ziehen. Andrej bezweifelte, dass sie begriffen hatten, was geschah. Vielleicht hatten sie sich zu sehr auf den
Schutz verlassen, den Abu Duns hünenhafte Gestalt und sein
Schwert versprachen.
Er richtete sich auf und sah noch einmal zu der Erhebung, die ihm
zuvor schon aufgefallen war. Wie er vermutet hatte, war es keine
Schneewehe, sondern ein weiterer, verkrümmter Körper, der fast
vollständig unter rot besudeltem Schnee vergraben war. Andrej kniete sich neben ihn, drehte ihn auf den Rücken und befreite sein Gesicht von rotbraun verklumptem Schnee. Er hatte erwartet, Stanik
oder vielleicht auch dessen Vater zu finden, aber das in maßlosem
Entsetzen verzerrte Gesicht, das unter dem Schnee zum Vorschein
kam, gehörte Pater Lorenz. Ihn hatte der Tod nicht überraschend ereilt, dachte Andrej. Er musste gesehen haben, was geschah, und er
hatte genau gewusst, was ihm bevorstand.
Während Andrej die Hand ausstreckte, um die Augen des toten
Geistlichen zu schließen, versuchte er sich auszumalen, was sich dort
abgespielt hatte. Blanche musste Abu Dun und den drei Männern
aufgelauert und sie aus dem Hinterhalt angegriffen haben. Vermutlich hatte er die beiden Jungen sofort getötet, ohne sich auf einen
Kampf einzulassen. Auch ein Schwert in der Hand eines Kindes
blieb ein Schwert, und selbst ein schlechter Kämpfer konnte einen
Glückstreffer landen. Dieses Risiko konnte sich der Weißhaarige
nicht leisten. Nicht, wenn er noch einen Gegner wie Abu Dun vor
sich hatte. Doch am Ende hatte er ihn besiegt, auch wenn der nubische Riese ihm zweifellos einen harten Kampf geliefert hatte. Andrej
war sicher, dass Lorenz die ganze Zeit dabeigestanden und zugesehen hatte. Vielleicht hatte er gebetet. Bestimmt hatte er gebetet,
dachte Andrej bitter. Als ob Gebete schon jemals irgendetwas bewirkt hätten!
Andrej befreite den Toten vollends von Schnee und Blut und untersuchte ihn nach äußeren Verletzungen. Alles, was er fand, waren
zwei winzige, rot umrandete Punkte an der linken Seite seines Halses.
Behutsam ließ er den Toten wieder in den Schnee zurücksinken,
faltete dessen Hände über der Brust und untersuchte dann die erschlagenen Brüder. Es überraschte ihn nicht, an ihren Hälsen die
gleichen, harmlos wirkenden Wunden zu entdecken. Ihm lief ein
Schauer über den Rücken, als ihm bewusst wurde, was Pater Lorenz
in seinen letzten Minuten gesehen haben musste. Obwohl es keinerlei
Beweise dafür gab, glaubte er zu wissen, dass Blanche zuerst das
Blut der beiden Jungen getrunken

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