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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Dicht
vor ihm stürmte Stanik durch das Tor und blieb dann so abrupt stehen, dass Andrej um ein Haar in ihn hineingerannt wäre.
    Der Anblick, der sich ihnen bot, war unglaublich.
Wie Andrej befürchtet hatte, war es Maria nicht gelungen, das Feuer zu löschen. Die Flammen hatten sich über den gesamten Dachstuhl
des Hauses ausgebreitet. Auch hinter den Ritzen der mit Brettern
vernagelten Fenster im Erdgeschoss loderte ein gelbes, unheimliches
Licht. Erstaunlicherweise brannte nur das Haus. Obwohl der Funkenschauer, der sich in einem bizarren Tanz lautlos über den gesamten
Hof vom Himmel herabsenkte, dichter war als das Schneetreiben,
hatten die Flammen noch auf keines der anderen Gebäude übergegriffen. Andrej erschien das unbegreiflich, denn er konnte die lodernde Hitze des Feuers selbst zwanzig Schritte entfernt schmerzhaft
auf dem Gesicht spüren. Aber vielleicht hatte der anhaltende Schneefall der letzten Wochen alles so sehr mit Feuchtigkeit durchtränkt,
dass sich das Feuer nicht ausbreiten konnte. Allerdings hatte Andrej
mehr als genug Feuersbrünste erlebt, um zu wissen, dass ein wenig
Schnee einen Brand wie diesen nicht aufzuhalten vermochte. Ihm
blieb jedoch keine Zeit, weiter über dieses Rätsel nachzudenken,
denn Stanik erwachte mit einem krächzenden Schrei aus seiner Erstarrung und rannte weiter - direkt auf die offen stehende Tür des
brennenden Hauses zu!
     
»Stanik!«, schrie Andrej. »Bleib stehen!«
    Falls der Junge seine Stimme über das Tosen der Flammen und das
immer lauter werdende Heulen des Windes hinweg überhaupt hörte,
so reagierte er jedenfalls nicht darauf. Bevor Andrej ihn einholen und
zurückhalten konnte, hatte er das Haus bereits erreicht und stürmte
durch die Tür. Andrej folgte ihm notgedrungen.
    Grellgelbe, lodernde Glut erfüllte den Raum. Andrej konnte kaum
noch etwas sehen. Die Hitze traf ihn wie ein Faustschlag. Staniks
Gestalt wurde zu einem zerfließenden Schemen in der gleißenden
Hölle aus Licht und Glut. Der Junge taumelte, und durch die dröhnenden Flammen und das durch die Hitze berstende Holz konnte
Andrej ihn vor Schmerz aufschreien hören. Trotzdem rannte Stanik
weiter und setzte dazu an, die Treppe hinaufzustürmen. Ein Großteil
des Geländers und die oberen Stufen standen bereits in Flammen.
    Im letzten Moment holte Andrej ihn ein und riss ihn so grob zurück, dass der Junge das Gleichgewicht verlor und stürzte. Sofort
sprang er wieder auf und wollte abermals zur Treppe stürmen, doch
diesmal packte Andrej ihn mit beiden Händen und schüttelte ihn so
grob, dass Staniks Zähne aufeinander schlugen.
    »Bist du wahnsinnig geworden?!«, schrie er über die brüllenden
Flammen hinweg. »Willst du dich umbringen?«
Vielleicht wollte Stanik das. Ganz bestimmt wollte er Andrej in
diesem Moment umbringen, weil der ihm den Weg versperrte. Er
griff nach seinem Dolch und versuchte ihn zu ziehen. Andrej versetzte ihm einen Faustschlag auf das Handgelenk, der seinen Arm lähmte, und gleich darauf mit der anderen Hand eine schallende Ohrfeige,
die Stanik zwei Schritte zurücktaumeln ließ.
»Sei vernünftig!«, schrie er. »Dort oben ist nichts mehr am Leben!«
»Elenja!«, keuchte Stanik. »Wo ist sie? Ich muss zu ihr!«
»Wenn sie noch am Leben ist, dann ganz bestimmt nicht dort oben«, antwortete Andrej mit einem heftigen Kopfschütteln. Er versuchte die Tränen wegzublinzeln, die ihm das grausam grelle Licht in
die Augen trieb, hustete qualvoll und sah sich verzweifelt um. Die
Hitze war so schlimm, dass er nicht verstand, wie Stanik sie ertrug.
Er hatte das Gefühl, flüssiges Feuer zu atmen und innerlich zu
verbrennen. Die Umrisse des Raumes schienen sich zu verflüssigen.
Vor seinen Augen begannen sich Staniks Wimpern und Augenbrauen
zu kräuseln. Er bildete sich sogar ein, dünnen, grauen Rauch von
dessen Haaren und Kleidung aufsteigen zu sehen. Wenn sie auch nur
eine einzige Minute länger hier blieben, war es zumindest um den
Jungen geschehen. Vielleicht auch um ihn.
»Raus hier!«, schrie er. »Vielleicht sind sie in einem der anderen
Gebäude! Drüben im Turm! Er ist aus Stein und kann nicht brennen!«
Stanik antwortete, doch das Tosen und Brüllen der Flammen verschlang seine Worte. Vielleicht war es auch nur ein Schmerzensschrei gewesen. Dann nickte er und machte einen stolpernden Schritt
an Andrej vorbei in Richtung Tür.
Andrej hörte es einen winzigen Moment vor Stanik, aber dennoch
viel zu spät. Es war, als

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