Die Blutgraefin
sein Kinn hinunter und vermischten sich mit dem Blut auf seinem Gesicht. Er hatte die Hände zu
Krallen verkrümmt, mit denen er über seine Wangen fuhr und sich
selbst die Haut aufriss.
Andrej stemmte sich hoch und kroch zu Stanik hinüber. Stanik
wimmerte laut und zog die Knie an den Leib, um sich zu einem
schützenden Ball zusammenzurollen. Seine linke Hand fuhr weiter
über sein Gesicht und hinterließ tiefe, blutige Kratzer, mit der anderen versuchte er, nach Andrej zu schlagen.
»Es ist schon gut«, sagte Andrej. Die Worte sollten den Jungen beruhigen, aber er hörte selbst, wie schrecklich seine Stimme klang: ein
schrilles Krächzen, das mehr von seiner eigenen Furcht verriet, als
ihm recht war. Dennoch fuhr er fort: »Stanik! Hörst du mich?«
Falls der Junge ihn hörte, so reagierte er nicht. Er versuchte, weiter
von Andrej zurückzuweichen, ohne dass es ihm gelang, verbarg das
Gesicht in der Armbeuge und schlug mit der anderen Hand ungeschickt in seine Richtung. Dabei stammelte er etwas, das Andrej
nicht verstand.
Andrej richtete sich neben ihm auf, packte seine Hand und hielt sie
fest. Mit der anderen griff er nach Staniks Gesicht. Der Junge wehrte
sich mit der Kraft der Verzweiflung, aber Andrej zwang ihn, den
Kopf zu drehen und ihn anzublicken.
»Sieh mich an!«, befahl er scharf. »Ich bin es! Das Ungeheuer ist
weg! Verstehst du mich. Es ist fort!«
Im ersten Moment schien es, als hätte Stanik auch diese Worte
nicht gehört. Er versuchte um so verzweifelter, sich zu wehren. Er
trat nun auch nach ihm. Dann aber hörte er ganz plötzlich auf. In
seinen Augen war wieder ein Funke bewussten Verstandes zu erkennen. Er hörte auf, nach Andrej zu treten und zu schlagen, und starrte
ihn nur stumm an.
»Es ist vorbei«, sagte Andrej noch einmal mit leiser, eindringlicher
Stimme. »Hast du das verstanden?«
Stanik nickte. Er begann am ganzen Leib so heftig zu zittern, dass
seine Zähne klappernd aufeinander schlugen.
»Es ist fort«, sagte Andrej noch einmal. »Du brauchst keine Angst
mehr zu haben.«
»Ist es… tot?«, flüsterte Stanik.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Andrej wider besseren Wissens.
Das Ungeheuer lebte noch. Aber er hütete sich, Stanik das zu sagen.
»Jedenfalls ist es nicht mehr da«, sagte er. »Und ich glaube auch
nicht, dass es so schnell zurückkommen wird.«
Und wenn doch?, fragte eine leise Stimme tief in seinem Innern.
Andrej versuchte diese Stimme zu ignorieren, aber ihm war bewusst:
Wenn das Ungeheuer zurückkam, waren sie verloren. Er hatte keine
Waffe und auch keine Kraft mehr, um einen zweiten Kampf mit der
Bestie zu überstehen.
Abermals streckte er die Hand nach Stanik aus, doch der Junge fuhr
wieder zusammen und riss schützend die Arme vor das Gesicht. »Ich
bin nicht dein Feind«, sagte Andrej leise und zugleich so beruhigend
und eindringlich, wie er nur konnte.
»Du gehörst zu ihr«, stammelte Stanik. »Du gehörst zu der Hexe.«
»Falls es deiner Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, mein
Freund«, erwiderte Andrej mit einem Unterton gutmütigen Spotts in
der Stimme, »ich habe dir gerade das Leben gerettet. Und um ein
Haar hätte die Bestie auch mich getötet.«
Sein Appell an Stanik schien seine Wirkung zu tun. Der Junge
hockte zwar nach wie vor zitternd vor Angst in verkrampfter Haltung
da, ließ aber langsam die Arme sinken und sah ihn misstrauisch an.
Dann überzog von neuem ein Ausdruck jähen Schreckens sein Gesicht. »Nein!«, keuchte er. »Dein Gesicht! Du… du gehörst zu ihnen!
Du bist ein Teufel!«
»Mein Gesicht?«, wiederholte Andrej. »Was soll damit sein?« Er
hob die Hand und tastete über seine Wange. Er spürte halb eingetrocknetes Blut, sein eigenes und das des Ungeheuers, das ihn besudelt hatte, aber darüber hinaus nichts Außergewöhnliches. Dann
wurde ihm klar, dass es eben dieser Umstand war, der Stanik Angst
einjagte. Die Klauen des Ungeheuers hatten Andrejs Wange aufgerissen. Es war kaum mehr als ein Kratzer, verglichen mit den anderen
Verletzungen, die er während des kurzen Kampfes erlitten hatte. Jedenfalls war er verletzt gewesen, als er sich über Stanik gebeugt hatte. Und nur wenige Augenblicke später war sein Gesicht - wie durch
Hexerei - unversehrt.
»Geh weg!«, wimmerte Stanik. »Lass mich! Du gehörst zu ihnen!
Du bist vom Teufel besessen!«
»Ich wünschte, es wäre so einfach«, murmelte Andrej so leise, dass
Stanik die Worte nicht verstand. Lauter und mit einem beruhigenden
Lächeln,
Weitere Kostenlose Bücher