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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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an.
    Fahlendorf verdiente diesen Namen nicht. Nach Andrejs Dafürhalten hätte es nicht einmal den Namen Fahlenweiler verdient, denn es
bestand lediglich aus einer Hand voll heruntergekommener Häuser,
die sich um eine Weggabelung drängten.
    Ob Ulric und seine Söhne sie tatsächlich absichtlich belogen hatten
oder aber die ins Bodenlose fallenden Temperaturen ihnen das Vorwärtskommen über die Maßen erschwerten, wusste Andrej später
nicht zu sagen. Sie brauchten bis weit nach Mitternacht, um die verschneite Kreuzung zu erreichen, und der Ort lag wie tot da. Andrej
musste eine geraume Weile mit steif gefrorenen Fäusten gegen die
Tür des Gasthauses hämmern, bevor ihnen ein verschlafener Wirt
öffnete, der sich wenig erbaut über die nächtliche Störung zeigte.
Das Zimmer, das er ihnen gab, erwies sich als zugiger Dachboden
mit zwei Strohsäcken, die bereits von einer Armee ausgehungerter
Flöhe besetzt waren. Andrej war jedoch so müde, dass er selbst auf
einem Stein geschlafen hätte.
    Am nächsten Morgen erwachte er ungewohnt spät - durch das mit
schmierigem Ölpapier verstopfte Loch, das der Wirt als Fenster bezeichnet hatte, schien bereits die Sonne. Ihn quälten ein schmerzender Rücken, ein Gefühl leiser Übelkeit, pochende Kopfschmerzen
und ein Geschmack im Mund, als hätte er die halbe Nacht auf dem
verdreckten Sack herumgekaut, auf dem er lag. Außerdem hatte er
von Spinnen geträumt.
    Benommen richtete er sich auf und fuhr sich mit dem Handrücken
über das Gesicht. Er verspürte ein leises Schwindelgefühl. Hätte er es
nicht besser gewusst, hätte er jede Wette gehalten, dass Abu Dun und
er sich am Abend zuvor bis an den Rand der Bewusstlosigkeit betrunken hatten.
    Unsicher stand er auf, reckte sich ausgiebig und stieß sogleich mit
dem Kopf gegen die niedrigen Dachbalken. Er hatte Durst. Zunge
und Gaumen fühlten sich pelzig an. Ob es wohl die Kälte des vergangenen Abends war, unter deren Nachwirkungen er litt? Andrej
konnte sich kaum erinnern, jemals so gefroren zu haben. Abu Dun
und er hatten während der letzten Stunde ihres Weges kein Wort
mehr miteinander gewechselt, aus Angst, dass ihnen die Zunge an
den Zähnen festfror, wenn sie den Mund aufmachten.
    Er ging geduckt zur Tür und verzog missmutig das Gesicht. Die
Menschen in diesem Teil des Landes schienen eine Vorliebe für steile Treppen zu haben. Auch diese verdiente eher den Namen Leiter, sodass er sich mit beiden Händen an den Wänden abstützen musste,
um nicht die Balance zu verlieren.
    Er gelangte in einen winzigen Raum. Im Kamin prasselte ein gewaltiges Feuer, das mehr Rauch als Wärme verbreitete. Augenblicklich musste Andrej gegen einen starken Hustenreiz ankämpfen. Immerhin war es wärmer als draußen im Freien, wenn er auch bei näherem Hinsehen erkannte, dass sich etliche der Eisblumen, die er auf
den Fensterscheiben entdeckte, auf der Innenseite des Glases befanden.
    Die Stube war so geräumig, dass die gesamte männliche Einwohnerschaft Fahlendorfs dort Platz finden konnte. Derzeit waren jedoch
fünf der insgesamt sieben lieblos zusammengezimmerten Tische
verwaist. An einem Platz neben der Tür saß ein verhutzeltes kleines
Männlein, dessen Gesicht und Hände fast ebenso viele Falten aufwiesen wie seine aus löchrigen Lumpen bestehende Kleidung. Es
stopfte mit sichtlichem Appetit etwas in sich hinein, von dem Andrej
lieber nicht wissen wollte, was es war. Unmittelbar am Kamin saß
ein ungewohnt barhäuptiger Abu Dun und schaufelte Unmengen desselben Fraßes in sich hinein. Neben ihm standen ein gesprungener
Tonkrug und ein zwar unversehrter, aber alles andere als sauberer
Becher, aus dem es sichtbar dampfte.
    Andrej nickte dem Wirt, der ihm von seinem Platz hinter der Theke
aus einen finsteren Blick zuwarf und kein bisschen weniger verschlafen oder übellaunig aussah als in der vergangenen Nacht, flüchtig zu,
deutete auf Abu Duns Teller und Becher und hob zwei Finger. Der
Wirt gab mit keiner Miene zu erkennen, dass er die Bestellung wahrgenommen hätte, was Andrej aber nicht weiter verdross. Je mehr er
sich dem Tisch näherte, desto weniger sicher war er, dass er das
Zeug, das der Nubier in sich hineinstopfte, wirklich essen wollte.
Oder auch nur dabei zusehen mochte, wie Abu Dun es aß.
    Wortlos zog er sich einen Stuhl heran, setzte sich und wartete darauf, dass der Gefährte das Schweigen brach. Der Nubier kaute seelenruhig weiter, ohne von ihm Notiz zu nehmen.
»Also?«, fragte

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