Die Blutgraefin
zu dem
wurde, was ich bin. Das ist es nicht. Aber dieser Mann… macht mir
Angst. Nicht das, was er mir antun könnte. Das, was er ist.«
»Mir auch«, antwortete Andrej ernst. »Und genau deshalb muss ich
wissen, was er ist.«
»Selbst wenn es dich das Leben kostet - oder Schlimmeres?«
Darauf antwortete Andrej nicht. Er hätte entgegnen können, dass er
es stets vorgezogen hatte zu wissen, mit wem er es zu tun hatte, und
das wäre die Wahrheit gewesen. Aber da war noch mehr. Dieser unheimliche Fremde mit den weißen Haaren und den sonderbaren Augen hatte ihn zutiefst erschreckt, mehr, als er Abu Dun gegenüber je
eingestanden hätte, und sehr viel mehr, als er sich selbst gegenüber
zugeben wollte.
Vielleicht war es dem Umstand geschuldet, dass er sie nicht getötet
hatte.
Sie setzten ihren Weg schweigend fort, bis der Wald sich allmählich zu lichten begann und schließlich ganz aufhörte. Vor ihnen lag
nur noch ein schmaler Streifen abschüssigen, schneebedeckten Geländes, hinter dem sich die schwarzen Umrisse des Schlosses erhoben. Von der Stelle am Waldrand aus, an der sie stehen geblieben
waren, konnten sie keine der beiden Kerzen mehr erkennen - falls sie
überhaupt noch brannten. Das Gebäude hatte sich endgültig in einen
dräuenden schwarzen Schatten verwandelt, etwas, das aus einer jener
Geschichten zu stammen schien, die man sich des Abends am Lagerfeuer erzählte, um den wohligen Schauer zu genießen, den sie den
Zuhörern über den Rücken laufen ließen, obwohl man wusste, dass
sie nicht wahr waren.
An dem Schauer, den Andrej verspürte, war nichts Wohliges. Er
meinte, aus den Schatten eine Warnung zu vernehmen, die laut und
unüberhörbar in seinen Ohren gellte.
Offensichtlich ließ er sich allmählich von Abu Duns Nervosität anstecken. Aber damit tat er weder sich selbst noch dem Nubier einen
Gefallen. Das da vor ihnen war nur ein Haus, nicht mehr. Er zog sein
Schwert, führte die Bewegung jedoch nicht zu Ende, sondern stieß
die Waffe mit einem übertrieben heftigen Ruck in die Scheide zurück. Abu Dun, dem die Bewegung nicht entgangen war, grinste
breit.
Andrej zog die Hand vom Schwertgriff zurück und suchte die freie
Fläche vor ihnen mit Blicken ab. Das Gelände zwischen dem Waldrand und dem gedrungenen Tor war vollkommen flach und bot keinerlei Deckung. Auf dem frisch gefallenen Schnee mussten sie überdeutlich für jeden zu sehen sein, der einen zufälligen Blick in ihre
Richtung warf. Schlimmer noch: Die Schneedecke war vollkommen
unberührt. Selbst wenn sie ungesehen bis zum Tor kamen, würden
sie Spuren hinterlassen, die ihre Anwesenheit verrieten.
»Vielleicht sollten wir es doch lassen«, murmelte Abu Dun.
»Was?«
Abu Dun hob unbehaglich die Schultern. »Wenn dieser Kerl wirklich dort auf uns wartet, laufen wir direkt in eine Falle«, gab er zu
bedenken.
»Und?«
»Fahlendorf ist nicht weit«, antwortete Abu Dun mit einer entsprechenden Geste. »Nur ein paar Stunden. Wir könnten… ein paar Erkundigungen einholen.«
»Erkundigungen?«
»Über Ulrics Hexe«, erklärte Abu Dun. »Ich meine… wir wissen
nichts über sie außer dem, was er und seine Söhne erzählt haben.
Und das muss nicht stimmen.«
»Und was ist mit den fünf Toten im Wald?«, fragte Andrej.
Abu Dun bedachte ihn mit einem flüchtigen Blick, den Andrej nicht
zu deuten vermochte.
Ansonsten tat er, was er immer tat, wenn ihm nicht gefiel, was
Andrej sagte: Er strafte ihn durch Missachtung. »Vielleicht warten
Ulric und seine liebreizenden Söhne ja noch auf uns«, sinnierte er,
während er nachdenklich seine geballte rechte Faust ansah. »Ich
könnte sie fragen, was hier wirklich los ist - falls sie noch antworten
können, wenn ich mit ihnen fertig bin.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich nur einen schlechten
Scherz erlaubt haben«, sagte Andrej. »Ganz davon abgesehen, dass
sie nicht wissen konnten, wie wir reagieren, macht es nicht den geringsten Sinn.«
»Ich werde sie fragen«, grollte Abu Dun. Er ließ die Faust sinken,
»Was tun wir jetzt? Vorausgesetzt, der in naher Zukunft einäugige
Ulric und sein demnächst humpelnder Sohn haben sich damit nicht
auch einen lustigen Schabernack erlaubt, ist es nicht allzu weit bis
Fahlendorf. Wir können uns natürlich auch hier ein kuscheliges
Plätzchen für die Nacht suchen.«
Andrej würdigte ihn keiner Antwort, sondern drehte sich auf dem
Absatz um und trat den beschwerlichen Rückweg zu Stanic, Ulric
und den Pferden
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