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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geputzt und aufgeräumt, und…«
»Nein, das ist es nicht«, unterbrach Andrej sie. »Ich hatte nur… etwas anderes erwartet.«
Er riss sich von dem unerwarteten Bild los und wandte sich zu dem
dunkelhaarigen Mädchen um. »Ich nehme an, du bist Elenja?«
Die Verunsicherung des Mädchens verwandelte sich in Freude, als
sie hörte, dass Andrej ihren Namen kannte. »Das ist richtig«, antwortete sie. »Ist… Euer Freund noch draußen?«
»Abu Dun kommt nicht«, sagte Andrej. Er fragte sich, ob das Mädchen schon wusste, was seiner Familie Schreckliches zugestoßen
war, aber ein einziger Blick in ihr strahlendes Gesicht beantwortete
diese Frage. Stand es ihm zu, ihr die schlechte Nachricht zu überbringen? Das war jedenfalls nicht der geeignete Augenblick. »Vielleicht kommt er später noch nach«, fügte er hinzu. »Wo ist deine
Herrin?«
»Sie wartet oben auf Euch, Herr«, antwortete Elenja. »Gebt mir Euren Mantel.«
Andrej streifte den Mantel ab - er war schwer von Schneematsch
und Nässe, mit der er sich vollgesogen hatte - und wandte sich zur
Treppe. Das Geländer war blitzblank poliert, und auf den Stufen lag
ein dunkelroter Läufer, der von polierten Messingstangen gehalten
wurde.
»Geht ruhig hinauf, Herr«, sagte Elenja. »Gräfin Berthold erwartet
Euch schon.« Sie hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken; wie ein
Kind, das ein Geheimnis zwar mühsam für sich behalten kann, nicht
aber die Tatsache, dass es darum weiß.
Andrej warf ihr einen stirnrunzelnden Blick zu und stieg langsam
die Stufen hoch. Auch am oberen Ende der Treppe brannte Licht, das
aus einer halb offen stehenden Tür am Ende des schmalen Korridors
drang, in den er gelangte. Der rote Läufer setzte sich hier fort, und
die Wände waren so blütenweiß, als wären sie eben erst frisch gestrichen worden. Andrej musste ein wenig gebückt gehen, da die rechte
Seite der Decke geneigt war und der Dachschräge folgte. Das Licht
loderte rot und stammte offensichtlich von einem Kaminfeuer und
nicht von einer Kerze. Ein Gefühl von Unwirklichkeit ergriff von
Andrej Besitz. Für einen Moment war ihm, als schimmere eine zweite, düstere Realitätsebene durch die Wirklichkeit hindurch, so wie ein
auf dünnen Stoff gemaltes Bild das darunter liegende nicht vollständig zu verbergen vermag.
Mit diesem Haus stimmte etwas nicht. Aber vielleicht lag das nur
daran, dass das Innere des Gebäudes nicht entfernt seinen Erwartungen entsprach, die durch dessen verwahrlostes Äußeres geweckt
worden waren.
Er schob die Tür weiter auf, trat geduckt hindurch und blieb auf der
anderen Seite stehen. Der Raum war groß und musste einen Gutteil
des gesamten Dachgeschosses einnehmen. Er wurde tatsächlich nur
vom Feuerschein eines gewaltigen Kamins erhellt. Die Einrichtung,
soweit Andrej sie erkennen konnte, war von der gleichen, großbäuerlichen Pracht wie die Möbel, die er im Untergeschoss gesehen hatte.
Auch hier lag ein wertvoller Teppich auf dem Boden, und an den
Wänden hingen Gemälde. Die Herrin all dieser Pracht saß in einem
Sessel unmittelbar neben dem Kamin. Sie hatte sich so platziert, dass
ihr Gesicht nicht von den Flammen beleuchtet wurde, sondern im
Schatten blieb.
Andrej wollte näher treten, aber Gräfin Berthold hob rasch die
Hand und sagte: »Bitte bleibt einen Moment, wo Ihr seid, Andrej.«
Ihre Stimme war leise, rauchig und auf unerwartete Weise vertraut.
Andrej gehorchte, starrte die schemenhafte Gestalt am Kamin aber
mit angehaltenem Atem an und bemühte sich mit aller Macht, den
Vorhang aus rauchfarbenen Schatten zu durchdringen, der ihr Gesicht verhüllte.
Es gelang ihm nicht. Seine falkenscharfen Augen versagten ihm
den Dienst, als gebe es etwas, das verhinderte, dass er das Gesicht
hinter den Schatten erkennen konnte.
»Gräfin… Berthold?«, fragte er zögernd. Sein Mund fühlte sich
trocken an, sein Herz pochte, und er spürte, wie seine Hände zu zittern begannen, ohne dass er im Stande gewesen wäre, sie daran zu
hindern. Diese Stimme! Aber das war doch vollkommen unmöglich!
»Bitte verzeiht«, fuhr sie mit einem Lachen fort. »Ich weiß, es ist
unhöflich, aber ich wollte Euch einen kurzen Moment in Augenschein nehmen.«
Ein Lachen, das sein Herz umschloss wie eine Kralle aus Eis und
ihm den Atem nahm. Dann erhob sich die Gestalt geschmeidig aus
ihrem Sessel. Andrej vernahm das Rascheln von Stoff, vielleicht
auch das seidige Geräusch, mit dem ihr schulterlanges Haar, das die
Farbe dunklen

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