Die Blutgraefin
wie es dort aussieht, aber ich habe es mir immer anders vorgestellt.«
Damit hast du Recht, dachte Andrej, der schon so manches Schloss
kennen gelernt hatte. Er nickte auffordernd. »Aber sie hat dich gut
behandelt. Du musstest nichts tun, was du nicht wolltest?« Marika
blinzelte. »Wie meint Ihr das, Herr?«
»Und ihr Beschützer, dieser Blanche?«, überging Andrej ihre Frage.
»Den habe ich nicht oft zu Gesicht bekommen«, antwortete sie.
Man musste nicht Gedanken lesen können, um zu erkennen, dass sie
nur ungern über den Weißhaarigen sprach. »Er war die meiste Zeit
unterwegs, aber ich weiß nicht, wo. Ich war fast immer allein mit der
Gräfin auf dem Schloss.«
»Und warum hat sie dich entlassen?«, fragte Andrej. »Wie ich
schon sagte«, antwortete Marika. »Sie war nicht sehr zufrieden mit
mir. Sie hat es nicht ausdrücklich gesagt, nicht einmal eine Andeutung gemacht, aber ich habe es wohl gemerkt. Immer habe ich alles
falsch gemacht und Dinge zerbrochen, und irgendwann…«
»Du lügst«, unterbrach sie Andrej sanft, aber in einem Ton, der
keinen Widerspruch duldete. »Da war noch etwas anderes. Was hast
du getan? Etwas gestohlen?«
»Nein!«, widersprach Marika entsetzt. »Ich habe nichts…« Sie
brach ab, senkte den Blick und presste die Lippen zusammen. »Also?«, fragte Andrej.
»Da ist ein Junge«, sagte Marika zaudernd und ohne aufzublicken.
»Ich verstehe«, sagte Andrej. Er vergewisserte sich, dass der Wirt
nicht mehr im Raum war und sie allein waren, ehe er fortfuhr. »Du
bist also keine Jungfrau mehr.«
Das Mädchen schwieg und nickte kaum wahrnehmbar.
»Keine Sorge«, versicherte Andrej. »Wir werden es niemandem sagen.«
Wieder zwang sich das Mädchen zu einem kurzen Nicken. »Kann
ich… kann ich jetzt gehen?«, fragte es stockend. »Ich konnte heute
früh nicht zur Messe, und wo ich schon einmal hier bin, kann ich es
jetzt nachholen.«
»Geh ruhig, Kind«, sagte Abu Dun. »Und warte dort auf mich. Ich
habe deinem Vater versprochen, dich sicher wieder nach Hause zu
geleiten.«
Das Mädchen verließ das Gasthaus, sichtlich erleichtert, der peinlichen Situation zu entkommen. Auch Abu Dun stand auf und ging
hinter die Theke. Da der Wirt nicht da war, bediente er sich kurzerhand selbst und kam mit einem Krug Wein und einem Becher in den
Händen zurück.
»Kannst du mir verraten, wie du das alles bezahlen willst?«, fragte
Andrej.
Abu Dun ließ sich so schwer auf den Stuhl fallen, dass Andrej sich
nicht gewundert hätte, wäre das Möbelstück unter seinem Gewicht
zusammengebrochen.
»Ich habe eine Anzahlung bekommen«, antwortete er. »Nicht viel,
aber für diese noble Herberge reicht es.«
»Eine Anzahlung! Von wem?«
»Von Ulric.«
Andrej sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. »Du hast…?«
»Ich habe ihm dafür lediglich versprochen, mich davon zu überzeugen, dass es Elenja gut geht und dass das auch so bleibt. Nicht mehr
und nicht weniger.« Das Lächeln in seinen Augen erlosch. »Aber
jetzt beantwortest du mir eine Frage. Woher kennst du diesen Namen?«
»Blanche?« Andrej hob die Schultern. »Er hat ihn mir genannt,
vorhin, als er hier war.«
»Er war hier?«, entfuhr es Abu Dun. »Wann?«
»Während du auf Freiersfüßen gewandelt bist«, antwortete Andrej
spöttisch.
»Bei Allah, warum war ich nicht hier?«, grollte Abu Dun. »Ich hätte ihm die Kehle herausgerissen!«
»Wahrscheinlich ist er deshalb gekommen, als du gerade nicht da
warst«, sagte Andrej spöttisch.
»Was wollte er?«
»Er hat uns zum Abendessen eingeladen«, antwortete Andrej. »Genauer gesagt, hat er uns eine Einladung seiner Herrin überbracht.«
»Wie?«
»Du hast richtig verstanden. Gräfin Berthold bittet uns, heute Abend ihre Gäste auf dem Schloss zu sein.«
»Uns?«, wiederholte Abu Dun. »Dich und mich?«
Andrej sah sich um. »Siehst du hier sonst noch jemanden?«
»Aber warum sollte sie ausgerechnet uns zu sich bitten?«
»Gedulde dich noch ein paar Stunden, und du kannst sie selber fragen«, antwortete Andrej.
»Ganz bestimmt nicht!«, schnaubte der Nubier. »Du musst verrückt
sein, wenn du glaubst, dass ich auch nur einen Fuß in dieses verfluchte Gebäude setze. Und noch verrückter, wenn du es selbst tust!«
»Hast du nicht gesagt, du wolltest dich um Elenja kümmern?«
»Wenn du schon einmal da bist, kannst du diese Kleinigkeit ja
gleich für mich erledigen.«
»Was ist los?«, fragte Andrej. »Hast du Angst vor der Dunkelheit?«
»Angst vor diesem Ort«,
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