Die Blutgraefin
nur unwesentlich helleren, schmutzig marmoriertem Grau überzogen. Wirklich hell geworden war es nicht. Die Temperaturen mussten im Laufe der Nacht noch weiter gefallen sein,
denn der Schnee knirschte nicht mehr unter den Hufen seines Pferdes, sondern hörte sich an wie Glas, das zermahlen wurde. Andrejs
Kehle schmerzte, obwohl er seinen Mantel bis weit über die Nase
hochgezogen hatte und durch den Stoff atmete. Als die trüben Lichter, die hinter den Fenstern des Dorfes brannten, endlich aus dem
grauen Dunst vor ihm auftauchten, waren seine Finger so steif gefroren, dass er schon bei der Vorstellung, sie zu bewegen, Schmerzen
empfand.
Andrej war heilfroh, als die Hand voll gedrungener Gebäude aus
dem Schneegestöber vor ihm auftauchte. Um ein Haar hätte er sich
verirrt. Er war zweimal vom Weg abgekommen, und bei der letzten
Kreuzung hatte er es dem Pferd überlassen, die Richtung zu wählen.
Er schätzte, dass er es allein seinem Hengst zu verdanken hatte, lebend angekommen zu sein.
Obwohl ihm jede weitere Sekunde, die er draußen in Schnee und
Kälte verbringen musste, unerträglich vorkam, ging er nicht direkt
ins Wirtshaus, sondern ließ sich mit steif gefrorenen Gliedern aus
dem Sattel gleiten, nahm das Pferd am Zügel und führte es hinter das
Haus. Von Abu Dun wusste er, dass es einen Stall gab, aber das
Schneegestöber nahm weiter zu, sodass er nicht mehr die Kraft fand,
danach zu suchen. Immerhin war das Pferd auf der Rückseite des
Hauses vor dem schlimmsten Wind geschützt. Er würde den Wirt
bitten, sich gleich um sein Tier zu kümmern. Vornübergebeugt, das
Gesicht aus dem Wind gedreht und mit klappernden Zähnen kämpfte
er sich zur Tür des Wirtshauses. Seine Finger waren so steif, dass er
die Klinke nur mit Mühe herunterdrücken konnte. Endlich stolperte
er in den Raum.
Genau wie am Morgen zuvor brannte auch jetzt im Kamin ein Feuer, das mehr Rauch und stickige Luft verursachte, als es Wärme abgab. Dennoch wankte er so schnell zum Kamin, wie ihn seine tauben
Beine tragen konnten, ließ sich davor auf die Knie sinken und zerrte
mit den Zähnen die Stofffetzen herunter, die er sich zum Schutz vor
der Kälte um die Finger gewickelt hatte. Dann beugte er sich vor und
streckte die Hände den prasselnden Flammen entgegen.
»Du wirst dir noch die Finger verbrennen, wenn du nicht aufpasst«,
sagte eine Stimme hinter ihm.
Andrej ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er langsam den
Kopf wandte, ohne die Hände der Wärme des Feuers zu entziehen.
Abu Dun saß an dem Tisch gleich hinter ihm, an dem auch er am
vergangenen Morgen gesessen hatte, und blickte mit einer Mischung
aus Belustigung und stiller Missbilligung auf ihn herab. Er hatte den
Turban wieder abgelegt und zu einem unordentlichen Haufen aus
schwarzem Stoff neben seinem Teller zusammengeknüllt. Als hätte
er sich große Mühe gegeben, die Szenerie vom vergangenen Morgen
bis ins letzte Detail nachzubilden, hatte er auch wieder eine Portion
widerwärtigen Essens vor sich stehen. Abgesehen von ihm war die
Gaststube leer.
»Ist dir klar, dass du dabei bist, dir eine Menge Feinde zu machen?«, fragte Andrej.
Abu Dun sah ihn prüfend an, folgte dann seinem Blick und runzelte
die Stirn. »Wieso?«
»Die Schweine des Wirtes werden dich hassen.«
»Das ist kein Schweinefleisch«, antwortete Abu Dun.
»Ich weiß«, sagte Andrej und schüttelte den Kopf. »Aber du isst gerade ihr Frühstück.«
Auf Abu Duns Gesicht erschien ein Ausdruck panischen Schreckens. Er starrte entsetzt auf seinen Teller hinab, zog die Brauen zusammen und spießte schließlich mit seiner Messerspitze etwas auf.
Er biss hinein und begann mit nachdenklicher Miene darauf herumzukauen. Seine Miene hellte sich augenblicklich auf. »Die Tiere haben einen ausgezeichneten Geschmack, das muss man ihnen lassen«,
sagte er anerkennend.
Andrej verzog das Gesicht, ersparte sich aber jegliche Erwiderung,
als sein Magen vernehmlich knurrte. Abu Dun spießte ein weiteres
graues Etwas auf sein Messer und hielt es ihm hin. »Sei mein Gast«,
feixte er.
Andrej ignorierte Abu Duns herausforderndes Grinsen und lauschte
stattdessen in sich hinein. Er war hungriger, als er angesichts des
Festmahls, das Maria und er am vergangenen Abend zu sich genommen hatten, hätte sein dürfen. Obwohl der Anblick dessen, was da
zwischen Abu Duns mahlenden Zähnen verschwand, ein leises Gefühl von Übelkeit in ihm auslöste, knurrte sein Magen noch einmal
lauter.
»Du
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