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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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den Mund wieder zu und geduldete
sich, bis der Wirt einen frischen Krug Bier und zwei zerbeulte Zinnbecher auf den Tisch gestellt und das Zimmer danach hastig wieder
verlassen hatte. Er schenkte Andrej und sich ein, nahm einen gewaltigen Schluck und schüttelte dann den Kopf. »Das kann sich inzwischen ja geändert haben.«
Andrej fragte sich, woher er die Kraft nahm, immer noch so ruhig
zu bleiben. Abu Dun benahm sich wie ein störrisches Kind. »Wenn
ich Ulric richtig verstanden habe, dann ist auf dem Schloss angeblich
in jeder Neumondnacht ein Mädchen verschwunden. Gestern war
Neumond. Elenja ist nicht verschwunden.«
»Bist du da ganz sicher?«, fragte Abu Dun.
Das Einzige, dessen Andrej sich ganz sicher war, war der immer
heftiger werdende Wunsch, dem Nubier seine Faust ins Gesicht zu
schlagen. Statt diesem Bedürfnis nachzugeben, schüttelte er nur traurig den Kopf. »Ich habe selbst mit ihr gesprochen.«
»Bleiben immer noch drei«, beharrte Abu Dun.
Andrej resignierte. Abu Dun wollte es einfach nicht wahrhaben. Im
Grunde konnte er das seinem alten Freund nicht einmal übel nehmen.
Andrej versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen wäre, wenn er
dasitzen und sich die Behauptung anhören müsste, Abu Duns seit
fünfzig Jahren verloren geglaubte Liebe sei wieder aufgetaucht. Ihm
fiel auf, dass Abu Dun bisher nicht einmal nachgefragt hatte, wie es
Maria ging. Oder wieso sie überhaupt noch am Leben war.
»Ich möchte, dass du mich zum Schloss begleitest«, sagte er. »Vielleicht glaubst du mir ja, wenn du Elenja mit eigenen Augen siehst.«
»Wer sagt, dass ich dir nicht glaube?«, erwiderte Abu Dun und
trank einen weiteren Schluck Bier. Er schüttelte den Kopf, als Andrej
etwas sagen wollte. »Darüber hinaus halte ich es für besser, wenn wir
vorläufig hier bleiben.«
»Warum?«
»Hast du vergessen, was gestern passiert ist?«, fragte Abu Dun.
»Die guten Leute hier jedenfalls nicht. Sie haben eine Versammlung
einberufen, heute, für die Mittagsstunde. Alle werden herkommen,
auch Ulric, Stanik und seine anderen Söhne. Vielleicht ist es besser,
wenn wir dabei sind, um das Schlimmste zu verhindern.«
»Wieso?«, fragte Andrej. Was gingen ihn die Probleme dieses Bauernpacks an?
Abu Dun hob die Schultern. »Vielleicht, um zu verhindern, dass sie
mit Fackeln und Mistgabeln zum Schloss hinaufziehen und es niederbrennen?«
Andrej schwieg, betroffen über das, was er gerade gedacht hatte,
und auch, weil Abu Dun Recht hatte und ihm dieser Gedanke nicht
gekommen war. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie so etwas miterlebten. Die Menschen in dieser Gegend waren ungebildet, abergläubisch und sie hatten Angst.
Ohne ein weiteres Wort streckte er den Arm aus, griff nach dem
Zinnbecher und trank einen Schluck von dem Bier, das Abu Dun ihm
eingeschenkt hatte.
Die Atmosphäre zwischen ihnen blieb angespannt. Andrej wartete,
bis das Feuer des kleinen Kamins die Kälte so weit aus seinen Gliedern vertrieben hatte, dass er sich ohne größere Schmerzen bewegen
konnte, dann stand er wortlos auf und verließ den Schankraum. Abu
Dun rührte sich nicht, doch Andrej konnte seine herausfordernden
Blicke spüren, während er die Tür öffnete und geduckt in das immer
noch anhaltende Schneetreiben hinaustrat.
Andrej schlug den Mantelkragen hoch, zog fröstelnd die Schultern
zusammen und folgte seinen schon wieder halb verwehten Spuren
zur Rückseite des Hauses, wo er sein Pferd angebunden hatte.
Er erlebte eine Überraschung. Das Pferd war nicht mehr da. Von
der Stelle aus, an der er es angebunden hatte, führte eine Spur zu
einem aus rohen Brettern zusammengenagelten Schuppen, dessen
Tür im Wind klapperte. Andrej trat ein und fand nicht nur sein Pferd,
sondern gleich ein halbes Dutzend Tiere, die sich in dem Raum um
eine mit feuchtem Hafer gefüllte Futterkrippe drängten. Das graue
Licht, das durch die Ritzen in den Wänden hereinsickerte, reichte
aus, um Andrej erkennen zu lassen, dass jemand seinem Pferd Sattel
und Zaumzeug abgenommen und es zumindest notdürftig trockengerieben hatte.
»Ich hoffe, Ihr seid mir nicht böse, Herr«, ertönte eine Stimme aus
den Schatten.
Andrej begriff nicht, wie er den Mann hatte übersehen können.
Selbst bei vollkommener Dunkelheit hätte er ihn riechen und hören
müssen. Die Atemzüge eines Menschen unterschieden sich deutlich
von denen eines Tieres.
»Weshalb sollte ich?«
Der Wirt trat aus dem Schatten im hinteren Teil des Stalles und versuchte

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