Die Blutgraefin
scheinst ja eine anstrengende Nacht hinter dir zu haben«, bemerkte Abu Dun anzüglich. »Wo kommst du her?«
Ein heftiger Schmerz in seiner rechten Hand hinderte Andrej daran,
sofort zu antworten. Erschrocken wandte er den Blick und stellte
fest, dass seine Finger den Flammen zu nahe gekommen waren. Er
hatte sich eine üble Verbrennung an drei Fingern der rechten Hand
zugezogen. Hastig ballte er die Hand zur Faust, damit ein plötzlich
eintretender Gast die Verletzung nicht bemerken konnte, war sich
aber dessen bewusst, dass der Gestank von verbranntem Fleisch und
versengtem Haar nicht so leicht zu verbergen war.
Er ließ sich Abu Dun gegenüber auf einen Stuhl sinken, da dieser
Platz dem Feuer am nächsten war und er so am meisten von dessen
kostbarer Wärme aufnehmen konnte. Er litt unter der Kälte wie ein
uralter Mann; und wenn er es auch nicht wahrhaben wollte - er begann sich wie ein solcher zu benehmen.
Mit gestrafften Schultern sah er Abu Dun herausfordernd an. »Seltsam - aber genau dasselbe wollte ich dich gerade fragen.«
»Warum hast du es dann nicht getan?«, fragte Abu Dun mit vollem
Mund. Andrej beachtete den Einwand nicht und fuhr fort:
»Ich dachte, du würdest vielleicht doch noch nachkommen.«
»Das bin ich auch«, behauptete Abu Dun. »Aber ich wollte dich
nicht stören.«
»Was soll das heißen?«
Abu Dun grinste, wobei ihm etwas von den zerkauten Speisen aus
dem Mund fiel. »Es gibt Momente, in denen ein Mann keinen Wert
auf die Gesellschaft seines besten Freundes legt, oder etwa nicht?«,
antwortete er. »Hat es sich wenigstens gelohnt?«
Andrej sagte, so ruhig er konnte: »Es ist Maria.«
»Ich weiß«, entgegnete Abu Dun.
»Gräfin Berthold«, fuhr Andrej fort. »Die Frau, die die Menschen
hier im Tal unter diesem Namen kennen, ist Maria. Ich habe sie gefunden.«
»Das sagtest du bereits«, erwiderte Abu Dun. »Ich hatte dich beim
ersten Mal schon verstanden.«
»Niemand hier weiß, wer sie wirklich ist. Wie auch«, begann Andrej, »schließlich ist sie…« Er brach mitten im Satz ab, riss die Augen
auf und starrte sein Gegenüber verblüfft an. »Was hast du gesagt?«
»Dass ich dich beim ersten Mal bereits verstanden hatte«, erwiderte
Abu Dun geduldig. »Ich bin vielleicht ein alter Mann, aber ich bin
weder schwerhörig noch…«
»Nein, davor«, unterbrach Andrej ihn in scharfem Ton. »Du… weißt es?«
»Selbstverständlich«, antwortete Abu Dun. Wieder grinste er mit
weit offen stehendem Mund. Diesmal fiel ein Stück halb zerkauten
Fleisches aus seinem Mund und klatschte auf den Teller. »Ich wusste
es sogar eher als du.«
»Woher?«
»Von deinem neuen Freund.«
»Blanche?« Andrej schüttelte heftig den Kopf. »Er ist nicht mein
Freund. Ganz bestimmt nicht.« Mit einiger Mühe gelang es ihm, seinen Blick von Abu Duns Teller loszureißen. Er kämpfte auch das
Ekelgefühl nieder, mit dem ihn der Anblick des schmatzenden Nubiers erfüllte. Betont nüchtern sagte er: »Hör mit dem Spielchen auf
und erzähl mir, was geschehen ist.«
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Abu Dun hob die linke Hand und
streckte Zeige- und Mittelfinger in die Höhe. Andrej wollte widersprechen. Er war hungrig, aber bestimmt nicht auf das, was er in dieser Spelunke vorgesetzt bekommen würde. Er wollte auch nicht das
Bier, das Abu Dun zweifellos mit seiner Geste bestellt hatte.
Der Nubier fuhr ungerührt fort: »Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir uns beim Schloss verabredet.«
Andrej versuchte, sich den vergangenen Abend ins Gedächtnis zu
rufen, musste aber zu seiner Bestürzung feststellen, dass es ihm nicht
gelang. Er wusste, dass Abu Dun noch einmal zu Ulric und seinen
Söhnen reiten wollte, um das eine oder andere zu klären. Ob sie übereingekommen waren, dass er ihm später zum Schloss folgen sollte, konnte er nicht mehr sagen. Offenbar ließ ihn sein Gedächtnis
mehr und mehr im Stich. Er forderte Abu Dun mit einem Kopfnicken
auf weiterzusprechen.
»Ich war da. Dein neuer Freund hat mich draußen am Tor erwartet.« Er hob die Schultern. »Wir haben geredet, und ich bin wieder
gegangen. So einfach war das.«
Andrej kannte den ehemaligen Sklavenhändler viel zu gut, um das
zu glauben. Abu Dun ließ sich von niemandem auf der Welt einfach
so wegschicken. Ganz sicher nicht von seinem Erzfeind Blanche. Er
verzichtete jedoch auch diesmal auf eine Antwort und reagierte nur
mit einem neuerlichen Nicken.
»Blanche war der Meinung, dass du lieber allein sein wolltest«,
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