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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht recht gelingen. »Das eine wäre völlig sinnlos, und das andere würde mir in
meiner Gemeinde gar nicht gefallen, fürchte ich.«
Andrej stand auf und kam zu dem Schluss, dass es wohl am klügsten war, gar nicht darauf zu antworten. »Guten Morgen, Pater Lorenz«, sagte er. »Seid Ihr auch auf der Suche nach Abu Dun?«
»Nein, nach Euch«, antwortete Lorenz. »Ich habe gehört, dass Ihr
hier seid, und wollte Euch zu einem verspäteten Frühstück einladen,
es sei denn, Ihr seid zu müde und wollt schlafen.«
Andrej zögerte. Er war nicht müde, dafür aber um so hungriger -
aber er erinnerte sich noch zu gut an das, was er auf Abu Duns Teller
gesehen hatte.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, lächelte Pater Lorenz plötzlich
und sagte: »Ich meinte ein Frühstück bei mir. Ich verfüge vielleicht
nicht über besonders viele Talente, aber ich glaube, ich kann mit Fug
und Recht von mir behaupten, ein ganz passabler Koch zu sein.«
Seine linke Hand landete mit einem Klatschen auf dem schwarzen
Priestergewand, unter dem sich ein sichtbares Bäuchlein abzeichnete.
»Gibt es da nicht irgendeinen Abschnitt in der Bibel, der die Völlerei betrifft?«, fragte Andrej.
»Mehr als einen, fürchte ich«, gestand Pater Lorenz betrübt. »Deshalb tut Ihr ein gutes Werk, wenn Ihr meine Einladung annehmt und
mich begleitet. Wenn schon nicht für Euch, dann doch für mein Seelenheil.«
»Das ist Erpressung«, sagte Andrej. »Und obendrein ziemlich
leichtsinnig. Was, wenn ich es gerade auf Euer Seelenheil abgesehen
habe? Ich könnte ja auch ein Abgesandter des Teufels sein.«
»So wichtig bin ich nicht, dass Satan jemanden schicken würde, nur
um mich zu verderben«, widersprach Lorenz. Er lachte gezwungen.
In seinem Blick war etwas, das Andrej einen kalten Schauer über den
Rücken laufen ließ. Der Geistliche war nicht nur gekommen, um ihn
zu einem Frühstück einzuladen.
    Sie verließen das Gasthaus und traten wieder in das Schneegestöber
hinaus. Der Wind hatte inzwischen merklich an Kraft eingebüßt, und
in der weißen Einöde ringsum zeichneten sich die Häuser deutlich
ab. Obwohl der Sonnenaufgang bereits einige Zeit zurücklag, brannte
immer noch überall Licht. Einzig die kleine Kirche, die sich am Ende
der schmalen Straße erhob und auf die sie zusteuerten, war dunkel.
Andrej drehte sich unauffällig um, während er dem Geistlichen folgte. Niemand war auf der Straße zu sehen, was angesichts der Witterung nicht überraschend war, doch er glaubte, hier und da einen
Schatten hinter einem Fenster ausmachen zu können, oder einen
neugierigen Blick zu spüren. Auf halbem Wege fragte er: »Wie viele
Schäfchen zählt Eure Gemeinde, Pater?«
»Weniger als hundert«, antwortete Lorenz.
    »Hundert?«, wiederholte Andrej überrascht. Er hätte die Einwohnerzahl des Ortes auf höchstens die Hälfte geschätzt.
»Nicht einmal die Hälfte lebt hier im Dorf«, sagte Lorenz, als hätte
er seine Gedanken gelesen. Er machte eine ausholende Geste. »Es
gibt ein paar Höfe im Umkreis einer Stunde. Drei oder vier Familien
leben auch in den Wäldern.«
»Ein ziemlich einsames Leben«, sagte Andrej.
»Ein ziemlich friedvolles Leben«, verbesserte ihn Lorenz. »Wenn
auch manchmal etwas eintönig.«
Sie hatten die Kirche mittlerweile fast erreicht. Als sie näher kamen, stellte Andrej überrascht fest, dass die Tür weit offen stand,
sodass Kälte und Schnee ungehindert in das Gebäude eindringen
konnten. Drinnen war es nicht so dunkel, wie es von weitem den
Anschein gehabt hatte. Die gesamte Wand hinter dem Altar bestand
aus einem großen, kunstvoll gestalteten Fenster aus buntem Bleiglas.
Eine Kostbarkeit, die er in einem Ort wie diesem gewiss nicht vermutet hätte, und bei dessen Anblick Lorenz’ Augen in unübersehbarem Stolz aufleuchteten. Es war so kalt, dass sich an den Bänken und
dem einfachen, aus einer großen, eisenbeschlagenen Truhe bestehenden Altar kleine Eiszapfen gebildet hatten. Die Tür musste die ganze
Nacht über aufgestanden haben, denn auf dem Boden lag knöcheltief
Schnee, und vor den einfachen Bänken hatten sich kleine Schneeverwehungen gebildet. Auf dem Altar stand eine einzelne große Kerze, deren Flamme trotz des Windes so ruhig und gleichmäßig brannte, als wäre sie eingefroren.
Andrej deutete auf das Fenster, dessen Bilder von ineinander fließenden Eisblumen bedeckt waren. »Ein prachtvolles Stück«, sagte er,
nicht nur, um dem Geistlichen einen Gefallen zu tun. So

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