Die Blutgraefin
wie er sich in diesen Männern so sehr hatte täuschen
können.
»Bravo, Vater«, sagte Ulric spöttisch. »Ihr habt wahrlich gesprochen, wie man es von einem Mann wie Euch erwartet. Es freut mich
zu sehen, dass ich mich nicht in Euch getäuscht habe.«
Er begann langsam den schmalen Gang zwischen den Bankreihen
hinabzugehen, wobei sein Mantel sich öffnete, sodass jeder deutlich
die Rüstung und vor allem die Waffen sehen konnte, die er darunter
trug. »Ihr habt euch also hier versammelt, um über uns Gericht zu
halten? Nun, dann ist es wohl nur angemessen, wenn wir auch dabei
sind, meine ich.«
»Niemand hält hier über jemanden Gericht«, antwortete Lorenz.
»Aber fünf Menschen sind auf grausame Art und Weise ums Leben
gekommen. Und jedermann hier weiß, dass Ihr und Eure Söhne Niklas den Tod geschworen habt.«
»Wenn jeder, dem von einem anderen schon einmal der Tod gewünscht wurde, tatsächlich gestorben wäre, dann wäre die Welt ein
ziemlich einsamer Ort«, antwortete Ulric verächtlich. »Aber wo wir
schon einmal dabei sind: Nicht wir waren es, die die Toten im Wald
gefunden haben.«
Abu Dun zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Seine
Finger schlossen sich fester um den Griff seines Krummsäbels, doch
Lorenz trat mit einem raschen Schritt zwischen ihn und Ulric, bevor
der Nubier reagieren und die Situation möglicherweise außer Kontrolle geraten konnte. »Ihr wisst so gut wie ich, dass diese beiden
Fremden unmöglich etwas mit Niklas’ Tod zu tun haben können«,
sagte er ruhig.
»So wenig wie wir«, bestätigte Ulric. Er warf Abu Dun einen abwägenden Blick zu, in dem nicht die leiseste Spur von Respekt oder
Furcht lag. Dann drehte er sich um und sah zu Andrej hin, als hätte er
dessen Blicke gespürt. »Warum fragt Ihr nicht Euren Beschützer,
Vater? Er hat die letzte Nacht auf dem Schloss verbracht und weiß
besser als jeder andere hier, was dort vorgeht. Oder hat die Hexe
auch Eure Sinne verwirrt, Andrej?«
Andrej kämpfte die Wut nieder, die Ulrics Worte in ihm auslöste.
Er erhob sich gemächlich und griff betont langsam nach dem
Schwert, das neben ihm auf der Bank lag. Während er sich Ulric näherte, band er den Waffengurt mit nachlässigen Bewegungen um und
ließ das Schwert halb aus seiner Scheide gleiten. Doch diese einschüchternde Geste verfehlte ihre Wirkung auf Ulric und die drei
anderen völlig.
»Ich war auf dem Schloss, das ist richtig«, gab er zu. »Ich habe die
Gräfin gesprochen. Und ich kann Euch versichern, Ulric, dass sie so
wenig eine Hexe ist, wie Ihr ein Bauer seid.«
In Ulrics Augen blitzte es wütend auf, doch er zügelte seinen Zorn
und beließ es bei einem knappen, spöttischen Kopfnicken. »Sie muss
gute Argumente gehabt haben, wenn Ihr sie nach einer einzigen
Nacht schon so gut kennt«, sagte er.
Andrej maß ihn mit einem verächtlichen Blick. »Die hatte sie«, sagte er.
»Darf man erfahren, welche«?, fragte Ulric. »Oder geht uns das
nichts an?«
»Es geht Euch nichts an«, erwiderte Andrej, »aber ich beantworte
Eure Frage trotzdem gern - wenn Ihr auch mir hinterher eine Frage
beantwortet.«
»Nur zu«, sagte Ulric.
»Ich kenne Gräfin Berthold. Wir sind uns früher schon einmal begegnet. Hätte ich bei dem ersten Zusammentreffen mit Euch schon
gewusst, wer sie ist, dann hätte ich mir den Weg zum Schloss sparen
können. Diese Frau kann niemandem ein Leid zufügen, glaubt mir.«
»Worauf wir alle hier zweifellos Euer Wort haben?«, vermutete Ulric spöttisch.
»Ja«, antwortete Andrej. »Aber nun bin ich an der Reihe, eine Frage zu stellen. Sagt mir eins, Ulric, warum ist Euch so sehr daran gelegen, die Menschen hier glauben zu machen, dass alles Unheil vom
Schloss der Gräfin ausgeht?«
In Ulrics Augen blitzte diesmal nicht nur Zorn auf, sondern noch
etwas weitaus Gefährlicheres. »Vielleicht deshalb, weil alles angefangen hat, nachdem sie hergekommen ist«, sagte er.
»Das ist wahr«, stimmte Andrej zu. »Jemand hat angefangen, Menschen umzubringen, nachdem die Gräfin in das Schloss gezogen ist.«
Er ließ eine kurze, genau berechnete Pause einfließen. »Ich frage
mich, ob das vielleicht jemand war, der Angst hat, seine Macht und
seinen Einfluss zu verlieren.«
»Was soll das heißen?«, fragte Ulric scharf. Stanik trat vor und ließ
wie zufällig die Hand auf den Griff seines Schwertes gleiten. Andrej
sah aus den Augenwinkeln, wie auch die beiden anderen sich zur
Seite bewegten, sodass sie ihn mit dem nächsten
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