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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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es grotesk aussah. Seine rechte
Hand hatte sich um den Griff des riesigen Krummsäbels geschlossen,
den er zur Schau stellte. Andrej war verwirrt und beunruhigt. Abu
Dun war trotz seines manchmal polternden Auftretens ein sehr besonnener Mann, der genau wusste, wie Furcht einflößend und beängstigend er allein durch seine gewaltige Größe und das ebenholzfarbene Gesicht wirkte. Deshalb hatte er sich angewöhnt, diesen Eindruck durch ein um so ruhigeres und umsichtigeres Auftreten zu mildern. Auf dieser Versammlung schien er es allerdings nicht nur darauf angelegt zu haben, alle Anwesenden einzuschüchtern, sondern
auch ihre Vorurteile zu bestätigen. Andrej fragte sich, was sein
Freund beabsichtigte. Wenn Abu Dun mit diesem sonderbaren Auftreten einen Plan verfolgte, so konnte zumindest er ihn nicht erkennen.
    Endlich hatte sich das Stimmengemurmel so weit gelegt, dass Lorenz nur noch ein abschließendes Mal in die Hände klatschen musste,
um die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    »Meine Freunde!«, begann er. »Ihr wisst, warum ich euch hier zusammengerufen habe.«
Eine interessante Formulierung, dachte Andrej. Es war noch keine
Stunde her, da hatte Lorenz behauptet, diese Versammlung weder
selbst einberufen zu haben noch sonderlich glücklich darüber zu sein.
Trotzdem glaubte er nicht, dass Lorenz ihn belogen hatte.
»Vielleicht sollten wir warten, bis alle da sind«, warf einer der
Männer ein. »Ulric und seine Bande fehlen noch!«
Lorenz runzelte verärgert die Stirn und maß den Sprecher mit einem strafenden Blick. »Ich dulde nicht, dass in meiner Kirche so
geredet wird«, sagte er. »Wir sind hier, um herauszufinden, was geschehen ist, nicht, um schon vorher über unsere Mitmenschen zu
urteilen.«
Die trotzige Antwort überging er klugerweise. Er deutete kurz auf
Abu Dun, der neben ihm stand und den Mann, der den Priester unterbrochen hatte, so drohend musterte, als hätte er sich vorgenommen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die diplomatischen
Bemühungen des Paters zu verderben.
»Ich habe mit Andrej und seinem Freund aus dem Morgenland gesprochen«, fuhr Lorenz fort. »Sie werden uns helfen herauszufinden,
was hier geschieht, und uns von dieser Gefahr befreien.«
Auch das entsprach nicht unbedingt dem, was Andrej gesagt hatte,
doch diesmal entlockte ihm Lorenz’ Umgang mit der Wahrheit ein
flüchtiges Lächeln.
»Wozu brauchen wir die Hilfe dieser Fremden?«, fragte der Mann,
der zuvor schon gesprochen hatte. »Wir alle wissen doch, wer hinter
diesem Teufelswerk steckt!«
Abu Duns Blicke wurden noch finsterer, während Lorenz eher betrübt wirkte, als er antwortete: »Niemand weiß, was wirklich geschehen ist, Ralf. Warst du es nicht, der im letzten Jahr seinen eigenen
Hund erschlagen hat, weil er glaubte, er hätte ein halbes Dutzend
Hühner gerissen, nur um hinterher festzustellen, dass es der Fuchs
war?«
Der Angesprochene machte ein trotziges Gesicht und schwieg. Lorenz fuhr, nun wieder an alle gewandt, fort: »Ich weiß, dass so mancher unter euch noch eine Rechnung mit Ulrics Familie offen hat,
doch wir dürfen nicht vorschnell urteilen oder gar verurteilen.«
Von der Tür her erscholl lautes Händeklatschen. Andrej wandte überrascht den Blick. Ulric, Stanik und zwei weitere seiner Söhne waren vollkommen lautlos in der Tür erschienen. Ein Blick in ihre Gesichter genügte Andrej, um zu erkennen, dass sie schon eine ganze
Weile dort standen und dem Gespräch gefolgt waren.
Der Anblick, den der vermeintliche Bauer und seine Söhne boten,
verschlug ihm die Sprache. Die Männer trugen keine einfachen, zerschlissenen Sachen mehr, wie an dem Abend, an dem Abu Dun und
er sie kennen gelernt hatten, sondern schwere dunkle Mäntel aus ebenso teurem wie warmem Stoff, kostbare Stiefel und lederne Kappen, die mit Nieten und Metallplättchen verstärkt waren und ihren
Trägern einen fast ebenso guten Schutz boten wie ein Helm. Unter
ihren Mänteln blitzten schwere Kettenhemden hervor. Alle waren mit
Schwertern bewaffnet, die kaum weniger wertvoll und beeindruckend waren als Andrejs eigene Klinge. Das waren keine einfachen
Bauern und auch nicht die Strauchdiebe und Räuber, als die Abu
Dun sie bezeichnet hatte, sondern Krieger. Es war weniger ihr Anblick, der die Menschenmenge in der Kirche - Pater Lorenz vielleicht
ausgenommen - gehörig einschüchterte. Es war das Selbstvertrauen
und das Wissen um die eigene Stärke, das sie ausstrahlten. Andrej
fragte sich,

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