Die blutige Arena
welche alle eine gewisse soziale Stellung einnahmen, diesen Ehrensitz zu beanspruchen. »Nein,« erklärte Gallardo, »die Großmutter übernimmt den Vorsitz. Nimm Platz, Mutter, oder wir essen nicht.« Und er führte sie mit einem Arm zum Tisch, mit dem anderen liebkoste er sie, als ob er sie für die Jahre seiner Vagabundenfahrten, welche ihr so viel Kummer verursacht hatten, entschädigen wollte.
Wenn der National zum Nachtmahl kam, um gewissermaßen aus dem Gefühl der Subordination in der Nähe seines Herrn zu bleiben, schien sich die Gesellschaft zu beleben. Gallardo empfing seinen Banderillo mit scherzhaftem Spott und freundlichen Fragen: Was gab es im Kreise seiner Anhänger Neues? Welche Gerüchte schwirrten umher? Wie stand es mit der Republik? – »Garabato, gib ihm ein Glas Wein.« Doch der Diener fand keinen Abnehmer, denn der National wies den Wein zurück. Er trinke keinen Wein, war er doch die Schuld am Niedergang der arbeitenden Klassen. Bei solchen Worten brach die ganze Gesellschaft in lautes Lachen aus, als hätte er etwas Lustiges gesagt, auf das man schon gewartet hatte. Nur der Riemer blieb schweigsam und warf die National feindliche Blicke zu. Er haßte ihn, da er in ihm einen Feind sah. Denn er hatte viele Kinder und diezwei kleinsten waren vom Stierkämpfer und seiner Frau aus der Taufe gehoben worden, so daß sie dadurch in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Gallardo standen. Jeden Sonntag brachte er seine zwei Kinder, die er aufs beste herausgeputzt hatte, in das Haus der Paten, denen sie die Hand küßten, während der Riemer vor Neid erblaßte, wenn sie Geschenke bekamen. Beraubten sie doch dadurch seine eigenen Kinder und außerdem gehörten sie nicht einmal zur Familie.
Wenn er die Äußerungen des Nacional nicht mit einem feindseligen Schweigen und abweisenden Blicken beantwortete, versuchte er sie zu tadeln und zeigte sich als unbedingter Anhänger derer, welche die Ansicht vertraten, die Verbreiter falscher Nachrichten als eine Gefahr für anständige Leute sofort erschießen zu lassen.
Der Nacional war um zehn Jahre älter als sein Herr. Als dieser seine Laufbahn begann, war er schon Banderillo und eben aus Amerika herübergekommen. Er erfreute sich einer gewissen Beliebtheit, da er jung und flink war. Auch ihn hatte man als eine kommende Berühmtheit betrachtet und in Sevilla hoffte man, daß er die Toreros der anderen Provinzen in Schatten stellen werde. Doch man sah sich in diesen Erwartungen getäuscht. Als er mit dem Rufe ungewöhnlicher bravouröser Taten zurückkehrte, stürmte die Menge den Zirkus, um ihn zu sehen. Doch im entscheidenden Momente gebrach es ihm an Mut, der Instinkt der Selbsterhaltung war stärker als sein Wille und hinderte ihn, den Stier mit dem Degen anzugehen und die Vorteile seiner Größe und Stärke auszunützen. So verzichtete also der Nacionaldarauf, den letzten Grad zu erreichen, er blieb Banderillo und begnügte sich damit, ein Handlanger seiner Kunst zu sein, anderen zu dienen, um das bißchen Geld für den Unterhalt seiner Familie zu gewinnen und soviel beiseite zu legen, daß er einen kleinen Handel anfangen konnte. Seine Gutmütigkeit und sein ehrenhafter Charakter waren unter seinen Kameraden bekannt. Carmen schätzte ihn sehr, da sie in ihm einen Schutzengel für die Treue ihres Gatten sah. Wenn Gallardo im Frühling mit seinem ganzen Anhang in ein Konzertcafé der Stadt, wo er gerade weilte, ging, da bewahrte der Nacional allen Lockungen der Frauen gegenüber sein ernstes, gemessenes Betragen.
Er machte keine Äußerung des Tadels und des Unwillens, doch dachte er traurig an seine Frau und an seine Kinder in Sevilla. Alle Fehler und Laster der Welt waren für ihn nur das Ergebnis mangelnder Bildung. Er war überzeugt, daß diese bedauernswerten Frauen weder lesen noch schreiben konnten. Ihm ging es ja ebenso, und weil seine Unwissenheit und die Lücken seiner Bildung auf diese Fehler zurückgingen, leitete er alles Unglück, alle Erniedrigung auf der Welt von dieser einzigen Ursache ab.
Er war in seiner Jugend Gießer gewesen, außerdem ein eifriger Anhänger der sozialistischen Partei und ein gläubiger Zuhörer seiner Kameraden, welche, glücklicher als er, lesen konnten und ihm nun alles mitteilten, was die Zeitungen für das Wohl der Leser schrieben. Dann ging er zur Zeit der Nationalmiliz unter die Soldaten und gehörte jenen Abteilungen an, welche zum Zeichen der föderalistischen Unnachgiebigkeit rote Kappen trugen. Er
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