Die blutige Sonne
sagte etwas. Neyrissa stellte ihm in drängendem Ton eine Frage, aber nichts davon erreichte ihn. Selbst Kennards Stimme war nur ein Durcheinander von bedeutungslosen Silben, ein Wortsalat. Dann hörte er Neyrissa sagen: »Ich dringe nicht zu ihm durch. Holt Taniquel nach oben, schnell. Vielleicht kann sie …«
Rings um ihn stiegen Wörter auf und fielen nieder wie ein Gesang in einer fremden Sprache. Die Welt verschwamm zu einem grauen Nebel, und das Pendel schwang ihn weiter und weiter hinaus in Dunkelheit und blasse Lichter, ins Nichts …
Dann war Taniquel da, eine verwischte Gestalt vor seinen Augen, und sie fiel mit einem bestürzten Aufschrei neben ihm auf die Knie.
»Jeff! Oh, Jeff, kannst du mich hören?«
Was konnte er anderes tun, dachte Kerwin mit der Unlogik des Schmerzes, wenn sie ihm direkt ins Ohr schrie?
»Jeff, bitte, sieh mich an, laß mich dir helfen …«
»Nichts mehr«, murmelte er. »Nichts mehr davon. Ich habe für einen Abend genug gehabt!«
»Bitte; Jeff, ich kann dir nicht helfen, wenn du mich nicht läßt …« flehte Taniquel, und er spürte ihre Hand heiß und schmerzend auf seinem pochenden Kopf. Er zuckte unruhig, versuchte, sie wegzustoßen. Sie fühlte sich wie heißes Eisen an. Er wünschte, sie würden alle fortgehen und ihn allein lassen.
Dann verließ ihn der Schmerz langsam, langsam, als sei eine zu volle Ader angezapft worden. Jeden Augenblick wich er ein Stückchen weiter zurück, bis Jeff das Mädchen klar sehen konnte. Er setzte sich auf. Der Schmerz war nur noch ein dumpfes Hämmern unten in seinem Gehirn.
»Gut genug«, stellte Kennard kurz fest. »Ich glaube, du wirst es schaffen.«
Auster knurrte: »Es ist nicht der Mühe wert!«
»Das habe ich verstanden«, flüsterte Kerwin, und Kennard nickte langsam und in grimmigem Triumph.
»Siehst du wohl«, sagte er. »Ich habe es dir gesagt. Ich habe gesagt, es sei das Risiko wert.« Er stieß einen langen, müden Seufzer aus.
Kerwin stellte sich taumelnd auf die Füße und hielt sich an der Sessellehne fest. Er kam sich wie durch eine Wringmaschine gezogen vor, aber trotzdem erfüllte ihn Friede. Taniquel war neben dem Sessel niedergesunken, grau und erschöpft. Neyrissa kniete neben ihr und hielt ihren Kopf. »Mach dir keine Sorgen, Jeff«, sagte Taniquel schwach und sah zu ihm auf. »Ich bin so froh … so froh, daß ich etwas für dich tun konnte.«
Auch Kennard sah müde aus, aber triumphierend. Corus blickte auf und lächelte Kerwin zitterig an, und es traf Kerwin, daß der Junge über seinen Schmerz geweint hatte. Sogar Auster biß sich auf die Lippe und erklärte: »Das muß ich dir zugestehen, du bist einer von uns. Du kannst es mir nicht übelnehmen, daß ich meine Zweifel hatte, aber … nun, trage es mir nicht nach.«
Elorie kam und stellte sich auf die Zehenspitzen. Sie war ihm nahe genug, um ihn zu umarmen, aber sie tat es nicht. Sie hob eine Hand und berührte federleicht mit ihren Fingerspitzen seine Wange. »Willkommen, Jeff, der Barbar«, sagte sie und lächelte ihn an.
Rannirl hängte sich bei ihm ein, als sie die Treppen zu der Halle hinunterstiegen, wo sie sich früher am Abend versammelt hatten. »Wenigstens dürfen wir diesmal selbst wählen, was wir trinken möchten«, lachte er, und Kerwin erkannte, daß die letzte Prüfung hinter ihm lag. Taniquel hatte ihn von Anfang an akzeptiert, aber jetzt akzeptierten sie ihn alle ebenso vorbehaltlos. Er, der niemals irgendwo hingehört hatte, wurde überwältigt von der Erkenntnis, wie sehr er hierhin gehörte. Taniquel setzte sich auf die Armlehne seines Sessels. Mesyr kam und fragte, ob er etwas zu essen oder zu trinken haben wolle. Rannirl goß ihm ein Glas kühlen, duftenden Wein ein, der schwach nach Äpfeln schmeckte, und sagte: »Ich glaube, er wird dir zusagen, er kommt von unsern Gütern.« Es war eine Stimmung wie bei einer Geburtstagsgesellschaft.
Einige Zeit später an diesem Abend fand Kerwin sich neben Kennard. Empfänglich für die Stimmung des Mannes, hörte er sich selbst sagen: »Du siehst glücklich darüber aus. Auster freut sich nicht, aber du. Warum?«
»Warum Auster sich nicht freut oder warum ich mich freue?« fragte Kennard mit kurzem Auflachen.
»Beides.«
»Weil du – zum Teil Terraner bist«, antwortete Kennard ernst. »Wenn du zu einem funktionierenden Teil eines Matrix-Kreises wirst – und das innerhalb eines Turms – und der Rat dich anerkennt, dann besteht eine Chance, daß der Rat meine Söhne
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