Die Blutlinie
Kansas-Sonne über den Weizenfeldern. Die Maine-Sonne über Bangor, die durch graue Wolken lugt und einen grauen Himmel erhellt. Und die Florida-Sonne, klebrig-golden.« Er wendet sich mir zu. »Meine Lieblingssonne ist die über Kalifornien. Heiß, trocken, keine Wolken, nichts als blauer Himmel – wie heute. Diese Sonne sagt, dass alles erst anfängt und dass etwas Aufregendes passieren wird.« Er blickt hinauf in den Himmel. Schließt die Augen und lässt sich von seiner Lieblingssonne das Gesicht wärmen, während der Wind vom Meer seine Haare zerzaust. Es ist das erste Mal, dass mir bewusst wird, wie schön ich meinen Vater finde.
Ich habe damals nicht alles verstanden, was er mir gesagt hat, doch das war unwichtig. Ich verstand, dass er mit mir sprach, weil er mich liebte.
Wenn ich an meinen Vater denke, mich an sein Wesen zu erinnern versuche, denke ich an jenen Augenblick.
Mein Dad war ein erstaunlicher Mensch. Mom starb, als ich gerade zehn war. Er kam zwar ins Stolpern, allerdings ohne zu fallen. Überließ mich niemals mir selbst, um in seiner Trauer zu versinken. Das eine, woran ich nie zweifeln musste, ganz gleich, was sonst geschah, war die Tatsache, dass mein Vater mich liebte.
Ich wache auf, als mich etwas berührt, und wirbele vom Sofa, reiße die Waffe hervor, während ich die Augen öffne. Es dauert einen Moment, bevor mir klar wird, dass Tommy fertig ist. Er wirkt nicht erschrocken. Bleibt ganz ruhig stehen, die Hände an den Seiten. Ich senke die Waffe.
»Entschuldigung«, sagt er.
»Nein. Ich bin es, die sich entschuldigen muss, Tommy.«
»Ich bin fertig mit der Suche. Ich habe lediglich eine Wanze am Telefon gefunden, weiter nichts. Wahrscheinlich kommt es daher, dass Sie allein leben. Wenn Sie nicht zu sich selbst reden, ist das Telefon das Einzige, was abhörenswert wäre.«
»Also das Telefon und der Wagen.«
»Genau. Ich schlage Folgendes vor. Ich schlafe hier unten, auf Ihrem Sofa. Morgen früh, wenn Sie das Haus verlassen, folge ich Ihnen.«
»Sind Sie sicher, Tommy? Dass Sie hier bleiben wollen, meine ich?«
»Sie sind jetzt mein Auftraggeber, Smoky. Mein Job ist es, Sie zu schützen, rund um die Uhr.«
»Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir die Vorstellung nicht gefällt. Danke, Tommy.«
»Kein Problem, Smoky. Ich bin Ihnen was schuldig.«
Ich sehe ihm lange in die Augen. »Wissen Sie, Tommy, eigentlich schulden Sie mir überhaupt nichts. Ich habe nur meinen Job gemacht, das ist alles. Ich bezweifle, dass Sie glauben, jemand, den Sie im Auftrag des Secret Service bewacht haben, sei Ihnen was schuldig.«
»Nein. Aber Sie haben zu mir gestanden, als es um mein Leben ging. Ob Sie nun das Gefühl haben oder nicht, ich sei Ihnen was schuldig, ich habe es auf jeden Fall.« Er schweigt für eine Sekunde, dann fährt er fort: »Ich wünschte nur, ich wäre da gewesen, als Sands zu Ihnen kam.«
Ich lächle ihn an. »Ich auch, Tommy.«
Er nickt. »Jetzt bin ich jedenfalls da. Schlafen Sie sich aus, Smoky. Sie müssen sich keine Sorgen machen.« Er sieht mich an, und seine Augen haben sich verändert. Sie sind steinern. Gefrorener Granit. »Jeder, der zu Ihnen will, muss zuerst an mir vorbei.«
Ich sehe ihn an, als ich mich auf das Sofa setze. Sehe ihn richtig an. Denke an den Traum von meinem Vater, an all das, was passiert ist. An alles, was passieren kann. Ich betrachte seine dunklen, tiefen Augen. Sein hübsches Gesicht. Und spüre ein Verlangen.
»Was ist?«, fragt er mit leiser, sanfter Stimme.
Ich antworte nicht. Stattdessen schockiere ich mich bis in mein tiefstes Inneres, als ich mich vorbeuge und ihn auf den Mund küsse. Ich fühle, wie er sich versteift. Mich von sich schiebt.
»Brrrrrrrrrrrrrr!«, ruft er.
Ich senke den Blick, außerstande, seinen Augen zu begegnen. »Bin ich so hässlich, Tommy?«
Lange Zeit herrscht Schweigen. Ich spüre seine Hand an meinem Kinn, spüre, wie er mein Gesicht anhebt. Ich will ihn nicht ansehen. Will nicht den Abscheu sehen.
»Sieh mich an«, sagt er.
Also gehorche ich. Und meine Augen weiten sich. Kein Abscheu. Nur Zärtlichkeit, gemischt mit Ärger.
»Du bist nicht hässlich, Smoky. Ich habe dich immer für eine verdammt sexy Lady gehalten. Daran hat sich nichts geändert. Du willst jemanden, jetzt. Ich kann das verstehen. Aber ich weiß nicht, wohin das führen soll.«
Ich starre ihn an, spüre die Aufrichtigkeit seiner Worte. »Würdest du weniger von mir halten, wenn es mir egal wäre?«, frage ich
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