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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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mir. Lass mich wissen, wenn du fertig bist.«
    Ich nicke und gehe. Ich fühle mich nicht nur gut, sondern sogar behaglich. Wie auch immer es enden mag, weder Tommy noch ich werden die letzte Nacht bereuen. Gott sei Dank.
    Ich kehre nach oben zurück, spüre allmählich mein Schlafdefizit und halte meinen Kaffee, als wäre er das reine Elixier des Lebens. Es ist erst halb neun, doch ich bin sicher, dass Elaina eine Frühaufsteherin ist. Ich wähle ihre Nummer.
    Elaina meldet sich. »Hallo?«
    »Hi, ich bin’s, Smoky. Tut mir Leid wegen gestern Abend. Wie geht es ihr?«
    »Sie scheint glücklich. Sie redet noch immer nicht, aber sie lächelt viel.«
    »Wie hat sie geschlafen?«
    Ein Zögern. »Sie hat letzte Nacht im Schlaf geschrien. Ich habe sie geweckt und in den Armen gehalten. Danach ging es ihr wieder gut.«
    »Gütiger Gott. Es tut mir Leid, Elaina.« Ich spüre die Schuld einer Mutter bei ihren Worten. Während ich den Mond angeheult habe, hat Bonnie wegen ihrer Vergangenheit geschrien. »Du hast keine Ahnung, wie dankbar ich dir dafür bin.«
    »Sie ist ein Kind, das zutiefst verwundet wurde, und sie braucht Hilfe, Smoky. Das ist keine Last in unserem Haus, und es wird niemals eine sein.« Ihre Worte sind die einfache Feststellung einer Tatsache, und sie kommen von Herzen. »Möchtest du mit ihr reden?«
    Mein Herz droht auszusetzen. Mir wird bewusst, wie sehr ich es mir wünsche. »Bitte, ja.«
    »Warte einen Moment.«
    Eine Minute später kommt Elaina zum Telefon zurück. »Sie ist hier. Ich gebe ihr jetzt den Hörer.«
    Fummelnde Geräusche, dann höre ich Bonnies leisen Atem.
    »Hi, Honey«, sage ich. »Ich weiß, du kannst nicht antworten, deswegen rede ich für uns beide. Es tut mir wirklich Leid, dass ich gestern Abend nicht gekommen bin, um dich zu holen. Ich musste lange arbeiten. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, und du warst nicht da …« Meine Stimme versagt. Ich höre sie atmen. »Ich vermisse dich, Bonnie.«
    Schweigen. Erneut fummelnde Geräusche, gefolgt von Elainas Stimme. »Warte, Smoky.« Sie spricht vom Telefon abgewandt. »Möchtest du Smoky etwas sagen, Liebes?« Weiteres Schweigen. »Ich sage es ihr.« Dann spricht sie wieder in den Hörer. »Sie hat mir ein wunderschönes Lächeln geschenkt und sich umarmt und auf das Telefon gedeutet.«
    Mein Herz verkrampft sich. Ich brauche keine Übersetzung für die Bedeutung ihrer Worte. »Sag ihr das Gleiche von mir, Elaina. Ich muss jetzt auflegen, aber ich komme heute Abend vorbei, um sie abzuholen. Keine weiteren Übernachtungen bei euch, wenn ich es vermeiden kann. Zumindest für eine Weile.«
    »Wir sind jedenfalls hier.«
    Ich bleibe eine Minute sitzen, nachdem ich aufgelegt habe, und starre ins Leere. Plötzlich sind mir die Schichten meiner Emotionen bewusst, die offensichtlichen wie die unterschwelligen. Ich habe starke Gefühle für Bonnie. Zärtliche, beschützende und sehnsüchtige Gefühle. Sie sind stark und real. Doch es gibt noch andere Gefühle, leise, flüsternd, subtil. Sie durchziehen mein Ich wie trockene Blätter, die der Wind vor sich hertreibt. Ärger ist eines davon. Ärger, dass ich nicht glücklich sein kann über meine eine Nacht mit Tommy. Es ist ein schwaches Gefühl, aber es will nicht weichen. Wie die Selbstsucht eines kleinen Mädchens, das nicht teilen mag. Du verdienst kein Glück, flüstert es mir beharrlich ein.
    Und da ist die Stimme der Schuld. Es ist eine glatte Stimme, wie Öl, schlangengleich. Sie stellt nur eine Frage, eine bohrende: Wie kannst du es wagen, glücklich zu sein, wenn sie es nicht ist?
    Wiedererkennen durchzuckt mich. Ich habe diese Stimmen schon früher gehört, alle, ohne Ausnahme. Als Alexas Mutter. Eine Mutter zu sein ist kein Ein-Noten-Stück, kein Schauspiel in einem Akt. Es ist komplex, enthält Liebe und Zorn, Selbstlosigkeit und Selbstsucht zugleich. Manchmal ist man überwältigt von der Schönheit des eigenen Kindes. Und manchmal wünscht man sich, zumindest für einen ganz kurzen Moment, dass man überhaupt kein Kind hätte.
    Ich fühle all diese Dinge, weil ich im Begriff bin, Bonnies Mutter zu werden. Und dieses Vorhaben lässt eine neue, schuldbeladene Stimme voller Tadel und Elend erschallen: Wie kannst du es wagen, sie zu lieben?
    Erinnerst du dich denn nicht? Deine Liebe bringt den Tod. Statt mich niederzuwerfen, macht mich diese Stimme wütend. Ich wage es, antworte ich, weil ich es muss. So ist das, Mutter zu sein. Liebe hilft dir durch das Gröbste, Pflichtgefühl

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