Die Blutlinie
durch Missbrauch und Misshandlungen verursachten Verletzungen der Seele mit sich herum und leidet daher nicht an dem schwachen Selbstvertrauen, das diese Dinge bewirken.
Er wäre imstande, extrem rational vorzugehen. Er würde keine Schwierigkeiten haben, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Vielleicht ist er sogar genau darauf trainiert worden.
Jack Junior würde das, was er tut, in der Vorstellung tun, dass es seine Bestimmung ist. Dass er dazu geboren wurde. Er würde es nicht als falsch ansehen. Weil man ihm von dem Moment an, in dem er gesprochene Worte verstehen konnte, genau das Gegenteil eingetrichtert hat.«
Dr. Child sieht mich an. »Er ist auf Sie fixiert, Smoky, weil er Sie braucht, um seine Phantasie zu vervollständigen. Er hat es selbst zugegeben, dass Jack the Ripper gejagt werden muss, vorzugsweise von einem brillanten Beamten. Er hat Sie dafür ausgewählt. Eine scharfsinnige Wahl.«
Er beugt sich vor, tippt erneut auf die Akte. »Die Wahrheit über den Inhalt des Glases, das er Ihnen geschickt hat – die Tatsache, dass er von einem Rind stammt und nicht von einem Menschen, wie er zu glauben scheint –, könnte sich als Ihre stärkste Waffe gegen ihn erweisen. Der Inhalt des Glases ist ein Symbol für alles, woran er glaubt. Er hat es stets als Wahrheit akzeptiert. Wenn er herausfindet, dass dieses Symbol eine Lüge ist, immer schon gewesen ist … es könnte ihn zerschmettern. Könnte seine kunstvoll errichtete Welt zum Einsturz bringen.« Dr. Child lehnt sich erneut zurück. »Er hat sich als extrem gerissen, organisiert und präzise erwiesen. Wenn er die Wahrheit über den Inhalt des Glases erfährt, könnte es ihn vernichten. Selbstverständlich gibt es eine weitere Möglichkeit, die wir nicht ignorieren dürfen. Dass er die Wahrheit über das Glas einfach von der Hand weist. Dass er sich darauf versteift, es wäre nichts als eine Lüge, die ihn verunsichern soll. In einem solchen Szenario würde er dem Individuum die Schuld geben, das ihm diese ›Lüge‹ offenbart hat. Er würde einen überwältigen Drang verspüren, dieses Individuum zu vernichten …
Jedes der beiden Szenarien hat seine nützlichen Aspekte, nicht wahr?«
Ich nicke. »Das stimmt.«
»Seien Sie sich der Tatsache bewusst, das jedes dieser Szenarien auch mögliche Gefahren birgt. Wenn das, worauf Jack Junior sein Leben aufgebaut hat, mit einer solchen Plötzlichkeit unter ihm weggezogen wird, könnte er suizidal werden. Allerdings wird er kaum allein sterben wollen.«
Ich begreife, was er mir sagen will. Ein außer Kontrolle geratener Jack Junior, bar jeder Hoffnung, könnte sich in einen Selbstmordattentäter verwandeln. Dr. Child mahnt mich, auf diese Möglichkeit vorbereitet zu sein.
»Was ist mit Ronnie Barnes?«, frage ich.
Er nickt, blickt zur Decke hinauf. »Ja. Der junge Mann, von dem er behauptet, ihn im Internet gefunden und ihn für seine Zwecke ›erzogen‹ zu haben. Sehr interessant – wenn auch nicht ganz ohne Beispiel. Morden im Team ist nicht so selten, wie manche Leute glauben. Charles Manson mag die berühmteste Gruppe von Mördern angeführt haben, doch er war weder der erste noch der letzte.«
»Genau«, antworte ich. »Mir fallen auf Anhieb zwanzig derartige Fälle ein.«
»Genau darauf will ich hinaus. Schätzungsweise fünfzehn Prozent aller Opfer von Serienmorden gehen auf das Konto von Teams. Und obwohl der vorliegende Fall spezielle Eigenheiten aufweist, so passt er dennoch in das allgemeine Schema. Mörderteams bestehen in der Regel aus zwei Individuen; ab und zu gibt es auch größere. Es gibt immer eine dominante Gestalt, jemanden mit einer besonderen Energie oder Phantasie. Er oder sie inspiriert die anderen, ermuntert sie, die Phantasie in die Tat umzusetzen. Alle Beteiligten haben psychopathische Züge, doch zumindest in einigen Fällen wären die anderen ohne die zentrale Gestalt niemals zu Tätern geworden, weil sie den Schritt zum Mord nicht allein hätten machen können.« Er lächelt, und ich meine, einen müden Zynismus in seinem Gesicht zu erkennen. »Damit will ich nicht sagen, dass sie die Opfer waren. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die nicht dominierenden Mitglieder eines solchen Teams nach der Verhaftung behaupten, zu ihren Taten gezwungen worden zu sein. Aber die Beweise widerlegen diese Behauptungen fast immer.«
»Die Ripper Crew«, sage ich.
Dr. Child lächelt erneut. »Exzellentes Beispiel. Und eins aus relativ junger Vergangenheit obendrein.«
Es
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