Die Blutlinie
dramatisch sein. Mancher Verdächtige wird dadurch so demoralisiert, dass er tatsächlich ohnmächtig wird, sobald man ihn mit den ihm zur Last gelegten Straftaten konfrontiert.
Alan mustert Street noch einige Sekunden, dann geht er zur Tür. Einen Moment später betritt er das Verhörzimmer erneut. Er tut, als würde er in der Akte lesen. Er schließt sie und hält sie so, dass Street seinen Namen darauf entziffern kann. Diesmal bleibt Alan stehen, statt sich zu setzen. Er stellt sich breitbeinig hin, die Schultern straff. Alles an ihm sagt, dass er dominant ist, die Kontrolle besitzt. Selbstsicher ist. Alles ist absichtlich und sorgfältig berechnet.
»Hier ist es, Mr. Street. Wir wissen, dass Sie an der Ermordung von Annie King und Charlotte Ross beteiligt waren. Wir haben eindeutige Beweise dafür. Die Fingerabdrücke in Annie Kings Wohnung stimmen mit Ihren Fingerabdrücken überein. Außerdem vergleichen wir zurzeit eine DNS-Probe aus Charlotte Ross’ Apartment mit Ihrer DNS, und ich wette, dass wir eine Übereinstimmung feststellen. Wir kennen außerdem den Modus Operandi, mit dem Sie vor den eigentlichen Verbrechen die Wohnungen Ihrer Opfer ausspioniert haben – unterschriebene Rechnungen, die Sie als ›Kammerjäger‹ einer Ungezieferfirma unterschrieben haben. Wir haben verdammt gute Handschriftenexperten, die imstande sind, diese Schrift als die Ihre zu identifizieren. Wir haben Sie, Mr. Street. Was ich wissen will, ist Folgendes: Sind Sie bereit, mit mir darüber zu sprechen?«
Street starrt Alan an, der hoch vor ihm aufragt, Selbstbewusstsein und Macht ausstrahlt – der Inbegriff des Alpha-Mannes. Seine Augen weiten sich ein wenig, und ich kann sehen, dass sich sein Atem beschleunigt. Dann verengen sie sich wieder, und er lächelt, zuckt die Schultern.
»Ich würde ja gern – wenn ich eine Ahnung hätte, wovon Sie reden.«
Streets Lächeln wird breiter, wie bei einer Cheshire-Katze. Er denkt, er hätte noch eine Trumpfkarte im Ärmel. Dass wir nicht wissen, dass sie zu zweit sind.
Alan schweigt. Starrt Street an. Abrupt wendet er sich zur Seite, nimmt den Tisch und trägt ihn zur Wand. Dann stellt er seinen Stuhl so hin, dass er direkt vor Street sitzt. Er nimmt darauf Platz. Ganz nah.
Bedrohlich.
»Was soll das werden?«, fragt Street. In seiner Stimme schwingt eine Spur von Nervosität mit. Auf seiner Stirn zeigen sich winzige Schweißperlen.
Alan sieht ihn überrascht an. »Ich möchte lediglich sicher sein, dass ich alles höre, Mr. Street«, sagt er.
Er blättert erneut in der falschen Akte und runzelt die Stirn. Schüttelt den Kopf. Er schauspielert, was das Zeug hält. Er legt die Akte neben sich auf den Fußboden und rutscht mit dem Stuhl näher an Street heran, dringt in seinen persönlichen Raum ein. Ich beobachte, wie er ein Knie zwischen Streets Beine schiebt, eine auf dessen Unterbewusstsein zielende Bedrohung seiner Männlichkeit. Der Mörder schluckt. Der Schweiß auf seiner Stirn tritt deutlicher zu Tage, doch er ist sich dieser physischen Reaktion nicht bewusst. Er weiß nur, dass Alan seine Welt ausfüllt und dass diese Welt plötzlich äußerst unbehaglich geworden ist.
»Ach wissen Sie, es gibt da ein paar offene Fragen.«
Street schluckt erneut. »Was?«
Alan nickt. »Ein paar offene Fragen.« Er beugt sich vor, kommt noch dichter an Street heran, schiebt sein Knie noch ein wenig weiter vor. »Wir wissen, dass Sie nicht allein gearbeitet haben.«
Street reißt die Augen weit auf. Sein Atem beschleunigt sich. Er stößt ein unwillkürliches Ächzen aus. »Was?«
»Sie haben einen Komplizen. Wir haben es durch das Video herausgefunden, auf dem der Mord an Annie King zu sehen ist. Ein Größenunterschied. Und wir wissen, dass Ihr Komplize der echte Jack Junior ist, nicht Sie.«
Street sieht aus wie ein Fisch am Haken. Wortlos öffnet und schließt er den Mund, öffnet und schließt den Mund. Seine Augen sind auf Alan fixiert. Er ächzt erneut. Seine Hände gleiten nach unten, legen sich schützend vor seinen Schritt. All das geschieht reflexhaft, er bemerkt es nicht. Alan beugt sich vor.
»Wissen Sie, wer er ist, Robert?«, fragt er.
»Nein!« Augen nach unten rechts. Eine Lüge.
»Nun, Robert … ich denke, Sie wissen es. Robert, ich glaube, Sie wissen sehr genau, wer er ist und wo wir ihn finden können. Stimmt das, Robert?« Alan wiederholt seinen Namen, um sowohl eine unterschwellig weiterwirkende Anschuldigung als auch das Gefühl zu erzeugen, dass er
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