Die Blutlinie
sehr.« Sie faltet die Hände im Schoß. Nimmt sich einen Augenblick Zeit, um sich zu sammeln.
»Sie müssen wissen, dass ich keine Ahnung von dem hatte, was er tat. Ich kam erst sehr viel später dahinter. Zu spät.
Keith begann, abends lange Stunden mit Peter zusammen im Keller zu verbringen. Er hielt die Tür immer verschlossen. Anfangs sah Peter, wenn er nach oben kam, so aus, als wenn er geweint hätte. Nach einem Jahr kam er lächelnd nach oben. Ein Jahr darauf hatte er überhaupt keinen Ausdruck mehr im Gesicht. Überhaupt keinen. Nur einen merkwürdigen Blick in den Augen. Er sah arrogant aus. Als er zehn war, verschwand die Arroganz. Er wirkte wie jeder normale Zehnjährige auch. Intelligent, lustig, und er konnte einen zum Lachen bringen.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Ich sehe das alles natürlich aus heutiger Sicht. Damals waren mir diese Veränderungen an ihm nicht bewusst. Ich nahm sie nur unterbewusst wahr, und sie blieben in meinem Unterbewusstsein haften.
Während all dieser Jahre hielt Keith sein Wort. Er rührte mich nicht an. Versuchte nicht, mit mir zu schlafen. Es war, als existierte ich überhaupt nicht für ihn. Was mir nur recht war. Aber das war …«
Die Emotionen, die sie nun übermannen, sind so plötzlich aufgezogen wie ein Sommergewitter. Tränen rinnen über ihre Wangen.
»Aber das war selbstsüchtig von mir, unglaublich selbstsüchtig. Er ließ mich in Ruhe, sicher. Doch das lag nur daran, dass er mit Peter beschäftigt war. Und ich, ich habe nie Fragen gestellt oder ihm nachspioniert oder versucht, irgendetwas zu tun. Ich habe ihm meinen Sohn ausgeliefert, einfach so.« Ihre Stimme ist voller Selbstvorwürfe. »Was für eine Mutter war ich bloß?«
Das Gewitter zieht ab. Sie wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Zurückblickend sah ich die Veränderungen an meinem Sohn. Ich erkannte das Lächeln seines Vaters, jenes Lächeln, mit dem Keith mich in unserer Hochzeitsnacht im Hotelzimmer angesehen hatte, bevor er mich schlug. Ich spürte die gleiche Kälte in ihm.« Sie verstummt, schweigt erneut für längere Zeit. Stößt einen schweren Seufzer aus. »Als er fünfzehn war, geschah es.« Ihre Augen sind einmal mehr in die Ferne gerichtet.
»Es waren so viele Jahre ohne Schläge, ohne Vergewaltigung vergangen. Jahre, in denen ich Zeit hatte, in mich hineinzuhorchen und ohne Ablenkung zu denken. Auf gewisse Weise war es, als wäre ich in einem Turm gefangen. Doch diese Isolation brachte mich wieder zu mir. Also fasste ich einen Entschluss. Und dann fing ich an zu planen. Ich war entschlossen, dass es Zeit für mich und meinen Sohn war, frei zu sein. An irgendeinem Punkt hatte sich die Angst in mir in Wut verwandelt. Ich fing an, Keiths Tod zu planen.«
Ihr Gesicht ist leer. »Ich beschloss etwas ganz Einfaches. Ich würde ihn in mein Bett einladen. Etwas, das er nicht erwartete. Ich würde ihn mit mir tun lassen, was er wollte. Und dabei würde ich das Messer unter meinem Kissen nehmen und ihn töten. Mein Sohn und ich würden dieses Haus verlassen und nach Texas zurückkehren. Ein richtiges, normales Leben führen.« Sie sieht mich an, und ihr Blick ist traurig. »Ich nehme an, es gibt Menschen, die gut sind im Töten, und andere, die es nicht sind. Vielleicht lag es nicht daran, dass ich nicht gut war im Töten. Vielleicht lag es daran, dass er so unglaublich gut darin war. Ich wusste es damals natürlich noch nicht, doch ich sollte es bald erfahren.«
Sie befingert eine kleine goldene Kette um ihren Hals.
»Er war überrascht, das ist wahr. Ich sagte zu ihm, ich würde ihn vermissen in meinem Bett. Ich sah, wie die Lust in ihm aufloderte wie ein Feuer. Ich war darauf gefasst, dass er grob zu mir sein würde. Das war die einzige Weise, wie er es genießen konnte. Er riss mir die Kleider geradezu vom Leib, als er mich in mein Schlafzimmer führte.« Ihre Finger spielen weiter mit der goldenen Kette. »Ich ließ ihn für eine ganze Weile machen, wozu er Lust hatte. Es war so schlimm wie eh und je, doch was bedeuteten schon ein paar letzte Stunden, wenn ich die Chance hatte, es für immer zu beenden?« Sie nickt. »Ich wollte, dass er richtig müde wurde. Als er fertig war, hatte ich ein blaues Auge, eine aufgeplatzte Lippe und eine blutige Nase. Er rollte seinen verschwitzten Körper von mir herunter, drehte sich auf den Rücken und schloss die Augen, während er zufrieden stöhnte.«
Ihre Augen weiten sich, als sie berichtet, was als Nächstes geschah. »Wer
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