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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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nach dem Schock, den sie durchlebt hat. Ich bin anderer Meinung. Ich gehe nach meinem Gefühl, und mein Gefühl mahnt mich, aufrichtig mit diesem Kind zu sein, nicht mehr und nicht weniger.
    »Erstens: Manchmal, wenn ich schlafe … na ja, die meiste Zeit über habe ich Alpträume. Manchmal machen sie mir richtige Angst, und ich wache schreiend auf. Ich hoffe, das passiert nicht, während du hier schläfst, aber ich habe es nicht unter Kontrolle. Ich möchte nicht, dass du Angst kriegst, wenn es passiert.«
    Sie studiert mein Gesicht. Ich merke, wie ihre Augen zu dem Bild auf dem Nachttisch wandern. Es ist ein gerahmtes Foto von Matt, Alexa und mir. Wir lachen alle drei, und keiner von uns ahnt, dass die Zukunft den Tod bringt. Sie betrachtet das Bild, dann sieht sie mich wieder an, hebt die Augenbrauen.
    Es dauert einen Moment, bis ich begreife. »Ja. Die Alpträume handeln von dem, was ihnen zugestoßen ist.«
    Sie schließt die Augen. Dann hebt sie die Hand und tippt sich damit auf die Brust. Sie öffnet die Augen wieder und sieht mich an.
    »Du auch, wie? Okay, Schatz. Wir treffen eine Vereinbarung, was hältst du davon? Keiner von uns beiden bekommt Angst, wenn der andere schreiend aufwacht, okay?«
    Sie lächelt mich an. Für einen Moment kommt mir die ganze Situation surreal vor. Ich rede mit einer Zehnjährigen – nicht etwa über Musik oder Kleidung oder einen Tag im Park. Ich schließe einen Pakt mit ihr über das Schreien in der Nacht.
    »Zweitens … das ist ein wenig schwieriger für mich. Ich versuche zu entscheiden, ob ich meine Arbeit weitermachen möchte oder nicht. Meine Arbeit besteht darin, böse Menschen zu fangen. Menschen, die Sachen gemacht haben wie das, was deiner Mutter widerfahren ist. Aber vielleicht bin ich zu traurig, um mit dieser Arbeit weitermachen zu können. Verstehst du das?«
    Ihr Nicken ist nüchtern und ernst. Oh ja, sie versteht mich sehr genau.
    »Ich habe noch keine Entscheidung getroffen. Wenn ich nicht wieder zu meiner alten Arbeit zurückgehe, entscheiden wir beide, was wir weiter machen. Wenn ich zurückgehe … na ja, dann kann ich dich wahrscheinlich nicht immer bei mir haben. Irgendjemand wird auf dich aufpassen, während ich arbeiten bin. Ich verspreche dir allerdings eines: Wenn ich wieder arbeiten gehe, dann sorge ich dafür, dass jemand auf dich aufpasst, den du magst. Klingt das okay?«
    Ein vorsichtiges Nicken. Ich gewöhne mich allmählich an das, was es aussagt. »Ja«, sagt dieses Nicken. »Es ist okay, wenn auch unter Vorbehalt.«
    »Und noch ein Letztes, Kleines. Ich glaube, es ist das Wichtigste von allem, also hör genau zu, okay?« Ich nehme ihre Hand und sehe ihr direkt in die Augen bei dem, was ich ihr als Nächstes zu sagen habe. »Wenn du bei mir bleiben möchtest, wirst du bei mir bleiben. Ich werde dich nicht im Stich lassen. Unter gar keinen Umständen. Das verspreche ich dir.«
    Ihr Gesicht zeigt die erste wirkliche Emotion, seit ich sie in jenem Bett im Krankenhaus gefunden habe. Es fällt in sich zusammen, überwältigt von Trauer. Tränen schießen in ihre Augen und rinnen über ihre Wangen. Ich nehme sie und drücke sie an mich, wiege sie, während sie lautlos weint. Ich halte sie und flüstere ihr ins Haar, und ich denke an Annie und Alexa und das erste Gesetz jeder Mutter.
    Es dauert eine Weile, doch schließlich hört sie auf zu weinen. Sie klammert sich weiter an mich, den Kopf an meine Brust gedrückt. Das Schniefen endet, und sie löst sich von mir, um sich mit den Händen das Gesicht zu wischen. Sie neigt den Kopf nach hinten und sieht zu mir auf. Sieht mich richtig an. Ich sehe, wie ihr Blick über meine Narben gleitet. Ich zucke zusammen, als ihre Hand nach oben kommt, um mein Gesicht zu berühren. Mit unendlicher Vorsicht fährt sie mit einem Finger über die Narben. Anfangend bei denen auf der Stirn, dann über meine Wange, unendlich vorsichtig, wie mit einer Feder. Ihre Augen füllen sich erneut mit Tränen, und sie legt die Hand auf meine Wange. Dann ist sie wieder in meinen Armen. Diesmal ist sie diejenige, die mich an sich drückt.
    Eigenartigerweise ist mir nicht nach Weinen zumute, während sie dies tut. Ich erlebe einen kurzen Augenblick des inneren Friedens. Einen Augenblick des Trostes. Ein wenig Wärme fließt aus ihr in jenen Teil von mir, der heute Morgen im Krankenhaus in Eiseskälte erstarrt ist.
    Ich lehne mich zurück und grinse sie an. »Wir sind vielleicht ein Paar, wie?«
    Ihr Lächeln ist echt. Ich weiß, dass

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