Die Blutlinie
irgendwie.«
Mein Herz verkrampft sich bei diesen Worten, und ich möchte aufstöhnen. Das erste Gesetz jeder Mutter …
Alexa hatte ihre Probleme. Sie war kein perfektes Kind. Manchmal benötigte sie eine Menge Zuspruch und die ständig wiederholte Versicherung, dass sie geliebt wurde. In diesen Zeiten habe ich immer das Gleiche zu ihr gesagt. Ich nahm sie in die Arme, drückte meine Lippen in ihr Haar und flüsterte auf sie ein.
»Kennst du das erste Gesetz jeder Mutter, Kleines?«, fragte ich flüsternd.
Sie kannte es, doch sie antwortete stets auf die gleiche Weise.
»Was für ein Gesetz ist das, Mami? Was ist das erste Gesetz jeder Mutter?«
»Dass du mein bist und dass ich dich niemals hergeben werde. Ganz gleich, was auch geschieht, ganz gleich, wie schwer es kommen mag, ganz gleich, ob …«
»… ob der Wind aufhört zu wehen oder die Sonne nicht mehr scheint und die Sterne erlöschen«, vollendete sie meinen Satz und vervollständigte so das Ritual.
Das war alles, was ich tun musste, und sie entspannte sich und fühlte sich wieder sicher.
Mein Herz entkrampft sich. Das erste Gesetz jeder Mutter. Ich könnte damit anfangen.
Die kleinen Panikblitze in mir verebben. Für den Moment. Wir steigen alle gemeinsam aus dem Flugzeug. Ich gehe davon, ohne noch etwas zu sagen, mit Bonnie im Schlepp.
Die besagten beiden Beamten begleiten uns nach Hause, fahren den ganzen Weg hinter uns her. Die Luft ist kühl, und es ist ein wenig dunstig. Auf dem Freeway hat der Verkehr eben erst eingesetzt, ist noch nicht richtig in Fahrt, wie ein Hügel träger Ameisen, die darauf warten, dass die Sonne sie erwärmt.
Im Wagen herrscht während der ganzen Fahrt Schweigen. Bonnie redet nicht, und ich bin zu sehr damit beschäftigt zu denken, zu fühlen, mir Sorgen zu machen.
Ich denke viel an Alexa. Mir ist bis gestern nicht bewusst gewesen, wie wenig ich seit ihrem Tod an sie gedacht habe. Sie war … irgendwie vage. Ein verschwommenes Gesicht in der Ferne. Jetzt wird mir auch bewusst, dass sie die schattenhafte Gestalt in meinem Traum über Sands gewesen ist. Der Brief von Jack Junior und die Erinnerung haben sie mitten in meinen Fokus gebracht, schlagartig.
Jetzt ist sie eine lebendige, blendende, schmerzliche Schönheit. Die Erinnerungen an sie sind wie eine zu laut abgespielte Symphonie. Meine Ohren schmerzen, doch ich kann nicht aufhören zu lauschen.
Die Symphonie der Mutterschaft; sie handelt von bedingungsloser Liebe, von Liebe bis zur Selbstaufgabe, von Liebe mit jeder Faser der Existenz. Sie handelt von einer Leidenschaft, deren Helligkeit die Sonne überstrahlt. Von einer grenzenlosen Hoffnung und einer wilden, herzzerreißenden Freude.
Mein Gott, wie habe ich sie geliebt. So sehr. Mehr als mich selbst, mehr als Matt.
Ich weiß, warum ihr Gesicht so verschwommen gewesen ist all die Monate. Weil eine Welt ohne sie – weil eine Welt ohne sie unerträglich ist.
Und doch bin ich hier und ertrage es. Dadurch zerbricht etwas in mir; etwas, das niemals heilen wird.
Ich bin froh darüber. Weil ich will, dass es wehtut. Für immer. Als wir zwanzig Minuten später beim Haus ankommen, nicken mir die Beamten schweigend zu. Lassen mich wissen, dass sie ihren Job angetreten haben.
»Warte einen Moment hier, meine Süße«, sage ich zu Bonnie.
Ich gehe zum Wagen. Das Fenster auf der Fahrerseite gleitet nach unten, und ich lächle, als ich einen der Beamten erkenne. Dick Keenan. Er war Ausbilder in Quantico, als ich die Akademie durchlief. Ging auf die fünfzig zu und beschloss, seine Laufbahn draußen an der frischen Luft abzuschließen. Er ist ein zuverlässiger Mann, FBI der alten Schule, mit kurzem Stoppelhaarschnitt und so weiter. Er war damals immer zu einem Streich aufgelegt und ein guter Schütze.
»Wie kommt es, dass Sie diesen Auftrag bekommen haben, Dick?«, frage ich ihn.
Er grinst. »AD Jones.«
Ich nicke. Natürlich. »Wer ist das neben Ihnen?«
Der andere Beamte ist ein jüngerer Mann, jünger als ich. Neu im Job und immer noch aufgeregt, ein FBI Agent zu sein. Aufgeregt angesichts der Tatsache, tagelang am Stück in einem Wagen zu sitzen und nichts zu tun zu haben.
»Hannibal Shantz«, stellt er sich selbst vor und streckt mir die Hand durch das Fenster entgegen.
»Hannibal, wie?« Ich grinse.
Er zuckt die Schultern. Er ist einer von der gutmütigen Sorte, das merke ich. Einer mit einem dicken, unmöglich zu durchdringenden Fell, und einer, den man einfach auf Anhieb mögen muss.
»Sie sind
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