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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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ihren Träumen gefangen, kann ihrer Angst zwar eine Stimme verleihen, doch sie kann nicht aus ihr erwachen.
    Ich packe sie und schüttele sie heftig. Das Schreien endet. Sie öffnet die Augen und schweigt wieder. Ihr Schreien hallt in meinem Kopf nach, und ich spüre ihr Zittern. Ich ziehe sie wortlos an mich, streichle ihr über das Haar. Sie klammert sich an mich. Bald darauf endet das Zittern. Kurz danach schläft sie wieder ein.
    Ich löse mich von ihr, so sanft ich kann. Sie sieht friedlich aus. Während ich sie beobachte, schlafe ich ebenfalls wieder ein. Und zum ersten Mal seit sechs Monaten träume ich von Alexa.
     
    »Hi Mommy«, sagt sie zu mir und lächelt.
    »Was ist denn, Hühnerpo?«, frage ich. Als ich sie das erste Mal so nannte, musste sie so heftig lachen, dass sie Kopfschmerzen davon bekam und schließlich anfing zu weinen. Seitdem nenne ich sie so.
    Sie sieht mich ernst an. Mit jenem Blick, der zugleich zu ihr passt und auch wieder nicht. Er passt nicht zu ihr, weil sie eigentlich zu jung dafür ist. Und er passt zu ihr, weil er echt ist, weil sie ein ernstes Wesen hat. Die warmen braunen Augen ihres Vaters sehen mich aus einem Gesicht heraus an, in dem ich unser beider Gene entdecke, durchsetzt mit Grübchen, die ganz allein die ihren sind. Matt hat ständig gewitzelt, der Postbote habe Grübchen und ich hätte vielleicht eine Spezialsendung von ihm erhalten, ha-ha-ha.
    »Ich mache mir Sorgen wegen dir, Mommy.«
    »Warum denn, meine kleine Süße?«
    Ihre Augen werden traurig. Zu traurig für ihr Alter, zu traurig für diese Grübchen.
    »Weil du mich so sehr vermisst.«
    Ich werfe einen Seitenblick zu Bonnie, dann sehe ich wieder Alexa an. »Was ist mit ihr, Baby? Ist das in Ordnung für dich?«
    Bevor sie antworten kann, wache ich auf. Meine Augen sind trocken, doch das Herz in meiner Brust zieht sich zusammen, und ich habe Mühe zu atmen. Nach einigen Sekunden beruhigt es sich wieder. Ich drehe den Kopf. Bonnies Augen sind geschlossen, und ihr Gesicht wirkt entspannt.
    Ich schlafe erneut ein, während ich sie beobachte. Diesmal träume ich nicht.
     
    Es ist Morgen. Ich betrachte mich im Spiegel, während Bonnie mich beobachtet. Ich habe meinen besten schwarzen Hosenanzug angezogen. Matt nannte ihn immer meinen »Killer-Anzug«. Er sitzt immer noch ausgezeichnet.
    Ich habe meine Frisur monatelang ignoriert. Wenn ich überhaupt Aufmerksamkeit auf mein Haar verwandt habe, dann, um es so zu bürsten, dass es meine Narben verdeckte. Früher habe ich meine Haare offen getragen. Heute habe ich sie streng nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden, bei dem Bonnie mir geholfen hat. Statt meine Narben vor der Welt zu verbergen, betone ich sie auf diese Weise noch.
    Es ist eigenartig, denke ich für mich, während ich mir im Spiegel in die Augen sehe. So schlecht sieht es gar nicht aus, wirklich nicht. Oh, sicher, es ist entstellend. Und schockierend. Aber … insgesamt betrachtet erwecke ich nicht den Eindruck, als gehörte ich in ein Kuriositätenkabinett. Ich frage mich, wieso mir das vorher nie aufgefallen ist, warum ich mir bis heute so viel hässlicher erschienen bin. Ich schätze, es liegt daran, dass ich zu viel Hässliches in mir hatte.
    Ich mag es, wie ich aussehe. Ich sehe tough aus. Ich sehe verdammt hart aus. Ich sehe phantastisch aus. All das passt zu meiner gegenwärtigen Sicht des Lebens. Ich wende mich vom Spiegel ab. »Was meinst du? Gut?«
    Nicken. Lächeln.
    »Dann wollen wir mal los, Honey. Wir haben heute ein paar Dinge zu erledigen.«
    Sie nimmt meine Hand, und wir gehen nach draußen.
     
    Mein erster Stopp ist Dr. Hillsteads Praxis. Ich habe angerufen und meinen Besuch angekündigt, und er erwartet mich bereits. Als wir in der Praxis ankommen, überrede ich Bonnie, bei Imelda zu bleiben, Dr. Hillsteads Arzthelferin, und dort auf mich zu warten. Imelda ist eine Latina mit einer herben Art, sich um Menschen zu kümmern, und Bonnie scheint auf ihre Mischung aus Wärme und Schroffheit anzuspringen. Ich kann sie verstehen. Wir lebenden Verwundeten hassen Mitleid. Wir wollen einfach nur ganz normal behandelt werden.
    Ich betrete das Sprechzimmer, und Dr. Hillstead kommt um den Schreibtisch herum, um mich zu begrüßen. Er sieht vollkommen niedergeschmettert aus.
    »Smoky, ich kann gar nicht sagen, wie Leid mir tut, was passiert ist. Ich wollte ganz bestimmt nicht, dass Sie es auf diese Weise herausfinden.«
    Ich zucke die Schultern. »Ja, sicher. Er war in meiner

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