Die Blutnacht: Roman (German Edition)
geschworen, dass diesmal die gierigen Rechtsanwälte nicht mit dem Leben davonkommen sollen. Und auch die Ketzer und Verräter nicht, die leugnen, dass Christus in der Eucharistie wirklich zugegen ist, und die unsere Stadt für ein paar Heller an die Engländer oder die Holländer verkaufen würden. Das wäre also die erste Ladung von diesem Gewürm, so Gott will.«
Seine Leute jubelten. Die an die sechzig Opfer, die darauf warteten, an die Reihe zu kommen, brachen in vielstimmiges Wehklagen aus. Der Hauptmann grinste.
»Müssen es Hugenotten sein, Hauptmann? Oder tut’s jeder Rechtsanwalt?«, rief einer dazwischen.
Der Hauptmann runzelte die Stirn. »Nur die Ruhe, Männer, wir haben ernsthafte Arbeit zu verrichten. Arbeit für den König. Für Gott. Und wir sind nur Seine starken, aber bescheidenen Hände, wir, die wir geschworen haben, Seinen Willen zu tun.« Er bekreuzigte sich mit dem blutigen Messer. »Also? Wer ist der Nächste? Kommt schon, je eher wir diese Ladung erledigt haben, desto früher können wir uns um die nächste kümmern.«
Ein sechster Mann wurde auf die Knie gezwungen. Der Hauptmann starrte ihn an. Er schien ihn zu erkennen, und sein Gesicht verzerrte sich bösartig. Er beugte sich vor, war beinahe Nase an Nase mit seinem Opfer.
»Du erinnerst dich an mich, nicht wahr? Natürlich tust du das. Bernard Garnier? 1563 fälschlich des Mordes angeklagt? Und seither wegen der dadurch entstandenen Schulden verfolgt? Du solltest dich an mich erinnern, du Schwein, hast genug von meinem Geld eingestrichen.«
Vulgäres Gelächter. Der Gefesselte schloss die Augen.
»Nein, nein, nein«, sagte Garnier. »Dieses Schwein heben wir uns bis zum Schluss auf. Bringt ihn da drüben hin, wo er zuschauen kann. Und zieht ihm die Schuhe aus. Wenn er die Augen schließt, stecht ihn in die Füße, und wenn er weiter seine hugenottischen Drecksgebete murmelt, stecht ihn noch mal. Und jetzt bringt seine Frau und Kinder her, dass er zusehen kann, wie ich sie zur Ader lasse.«
Tannhäuser schaute nach links, wo Tybaut, immer noch ohne Hemd, auftauchte. Der Atem des Kupplers ging rasch, sein Stolz und Mut waren schwer mitgenommen. Seine Wangen waren rot angeschwollen. Er hielt eine Hand hinter dem Rücken.
»Befolge meinen Rat, Tybaut. Geh weg.«
»Ich will meinen Schlüssel wiederhaben.«
»Schade, dass du ein Kuppler bist. Ich hätte dich sonst gut brauchen können.«
»Gebt mir den Schlüssel, oder ich verrate Euren Jungen als dreckigen Ketzer.«
»Geh jetzt, Tybaut, oder ich töte dich.«
Tybaut kicherte. »Ach ja? Das hier sind meine Leute, nicht Eure, Schwachkopf !«
Tannhäuser zog mit der Linken den Dolch und hieb ihn Tybaut unter dem Brustbein tief in die Gedärme und durchstach die Aorta. Er zog den Dolch wieder heraus und steckte ihn zurück in das Futteral. Das alles hatte kaum länger gedauert als die Ohrfeigen. Tybaut grunzte, atemlos und überrascht. Die Wunde schien wenig bemerkenswert, und doch verströmte er innerlich sein Lebensblut. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht. Ein Messer fiel klirrend zu Boden. Der nahe Tod erfüllte ihn mit dem Wunsch nach Tannhäusers Segen.
»Tausenden geht es schlechter als meinen Mädchen. Warum ich?« Tybauts Augen schauten verwundert.
Tannhäuser drehte ihn am Arm herum und packte ihn hinten an der Hose. »Hier habt ihr noch so einen gottlosen Verräter. Es ist zwar kein Rechtsanwalt, aber er tut’s!«
Tannhäuser hievte ihn in die Blutlache. Tybaut versagten die Beine. Er fiel der Länge nach hin, seine Arme waren zu schwach, um ihn abzufangen, und ein Stöhnen ertönte aus der Menge, als im hohen Bogen Blut aufspritzte und ihre Kleider besudelte.
Tybauts Mund stand offen. Sein letzter Seufzer verebbte im Blut. Tannhäuser nahm dem nächsten Milizsoldaten einen Ochsenzungenspeer ab, packte ihn links über rechts am Schaft, ließ ihn nach unten sausen und rammte die Klinge in Tybauts Brustkasten.
Tannhäuser stach zu. Für seine Mutter. Für Amparo. Für die Zwillinge mit den scharlachroten Mündern, die in der Kathedrale Suppe aßen. Für Carla. Keine von denen hätte es ihm gedankt. Sie wären alle entsetzt gewesen. Er stach auf den toten Burschen ein, weil Wut und Schmerz in ihm hochkochten wie Lava.
Er hielt inne, um sich Schweiß und Blut aus den Augen zu wischen. Er schaute nach unten.
Er hatte Tybaut mit dem Ochsenzungenspeer nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Selbst in seiner blinden Wut war seine Kunstfertigkeit bemerkenswert.
Unter den
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