Die Blutnacht: Roman (German Edition)
verschreiben!«
Tannhäuser wusste nicht, wer gerufen hatte, antwortete aber: »Verlangt es auch Euch nach mehr Blut?«
»Der Chevalier hat recht«, erklärte Hauptmann Garnier, dessen Begehren nicht in Frage stand. »Soll dieser Schaumschläger, wer immer er sein mag, doch seine Frömmigkeit unter Beweis stellen, indem er sich ganz vorne in die Reihe stellt.«
Keiner regte sich.
Vielleicht wollte der anonyme Gläubige es gerade tun, aber genau in diesem Augenblick stürzte sich Luzifer in die Blutlache und wälzte sich mit ekstatischer Hingabe darin. Die Augen traten ihm aus dem Kopf, die Zunge hing heraus, und er knurrte vor Begeisterung, gab furchterregende, finstere Geräusche von sich. Tannhäuser vermutete, dass das kleine Tier so seine Brandblasen und Verbrennungen lindern wollte, aber in den beiden religiösen Lagern brachte das Verhalten des Hundes eine sehr viel hysterischere Reaktion hervor als die Morde zuvor. Die Leute zogen sich noch weiter zurück.
»Luzifer, komm her!«, rief Grégoire.
Juste wiederholte den Befehl. Der teuflische Name erregte Anstoß.
»Der Hund ist besessen.«
»Aus ihm spricht der Satan.«
»Wir fallen alle in den Krater der Hölle.«
Tannhäuser trieb Clementine an. Grégoire und Juste, die sich mehr um den Hund als um die aufgebrachte Menge sorgten, ließen beinahe die Steigbügel los.
»Er rennt hinter seinem Rudel her«, sagte Tannhäuser.
Und der Hund kam. Von den Ohren bis zur Schwanzspitze vom Blut glänzend, richtete sich Luzifer in der Lache auf, rannte hinter dem Pferd her und bespritzte alle, die nahe genug standen, mit Blutklumpen. Die Jungen lobten ihn überschwänglich. Als der Hund wieder den üblichen Platz zwischen Clementines Hufen eingenommen hatte, war Tannhäuser bereits bei der Kreuzung jenseits des Hôtel-Dieu.
Er blieb stehen, um sich zu orientieren.Vor ihm, in Richtung auf den Turm der Sainte-Chapelle, plünderten Mitglieder der Bürgermiliz Häuser und besprachen sich in aufgeregten Gruppen über die Leichen, die in der Gosse lagen.
Rechts verlief die Straße zurück über den Pont Notre-Dame, wo weitere Tote in stinkenden Haufen lagen. Männer raubten einige der Geschäfte auf der Brücke aus, trugen Truhen und Möbel durch die Türen heraus oder warfen die Waren aus den Fenstern der oberen Geschosse. Am fernen Ende, wo die Straße mit einer Kette abgesperrt war, schien sich eine wilde Auseinandersetzung anzubahnen.
Linker Hand führte eine kürzere Brücke über den schmaleren Arm der Seine. Hier versperrte ein ähnlicher Tumult den Weg. Am intensivsten schien er um einen offenen Bogen herum zu sein, der zu der gedrungenen Festung am anderen Ufer führte.
»Das Petit Châtelet«, sagte Grégoire. »Für die Sergents . Und ein Gefängnis.«
Tannhäuser ritt weiter nach Westen, an einer Reihe öffentlicher Latrinen und einem schmalen Kai aus grob behauenen Pfeilern vorüber, der steil zur Seine hinunter verlief. Zwei Jungen, kaum älter als acht Jahre, bemühten sich, angetrieben von den Schwertern zweier Milizsoldaten, nach Kräften, die Leiche einer Frau an den Rand des Kais zu zerren. Die Jungen warfen die Frau mit Schwung in den Fluss, aber sie hatten ihre Bemühungen schlecht abgestimmt, und so schlug der Kopf der Frau im Fallen noch an die Pfeiler. Die Jungen drehten sich um und blinzelten in die Welt hinein, in der sie gestrandet waren. Die Milizsoldaten erstachen sie und stießen sie hinter der Frau her in das trübe Wasser. Die Männer nickten einander zu, als wollten sie einander bestätigen, dass sie gute Arbeit geleistet hatten.
Tannhäuser eilte weiter.
An der nächsten Brücke, Saint-Michel, ging es so chaotisch zu wie an den anderen. Diejenigen, die die Insel verlassen wollten, wurden am jenseitigen Ende der Straße durch eine Kette daran gehindert. Gleichzeitig wollte auf der anderen Seite der Kette eine andere Menschenmenge vom linken Ufer auf die Île de la Cité gelangen.
Mitten zwischen diesen beiden Meuten versuchten einige wenige Bogenschützen in den Uniformjacken und Kappen der Sergentsà verge , ihre Autorität durchzusetzen, warum, das begriff niemand, am wenigsten sie selbst. Bisher war es ihnen nur gelungen, die allgemeine Stimmung aufzuheizen.
Aus einigen Fenstern in den Häusern auf der Brücke riefen Bürger spöttische Bemerkungen, Witze, Drohungen und juristische Ratschläge zu den immer wütender werdenden Menschen herunter. Einer der Sergents erwirkte eine kleine Ruhepause, indem er auf die Schulter
Weitere Kostenlose Bücher