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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Zuschauern herrschte völliges Schweigen, als fürchteten die Menschen, jeder Laut könnte auch sie verdammen, und darin irrten sie nicht. Tannhäuser schaute auf. Sein Blick traf den desHugenotten, der gefesselt und ohne Schuhe, entsetzt am Rand der Blutlache kniete und darauf wartete, den Tod seiner Familie mit anzusehen.
    Der Hugenotte schwieg auch.
    Sprach er tonlos die Worte » Tötet mich «?
    Oder flehte er nur mit den Augen darum?
    Oder hörte Tannhäuser das Flehen seines eigenen verwirrten Geistes?
    Tannhäuser watete durch das Blut, das über seine Stiefel schwappte wie eine Welle roten Schlamms, und stach den Speer mit aller Wucht in das Herz des Hugenotten. Aus der Gruppe der Gefangenen hörte er den Aufschrei einer Frau, die den geliebten Mann verloren hat. Er setzte dem Hugenotten den Fuß auf die Brust und schob ihn von der Klinge.
    Er wandte sich um und schaute zu der Kathedrale und ihren ungeheuren und geheimnisvollen Symbolen auf.
    Er hätte mindestens acht der Milizmänner erledigen können; genau betrachtet vielleicht zwölf oder gar alle dreißig. Denn nach dem achten wären vielleicht auch diese Esel schlau genug, um ihr Leben zu rennen. Ohne hinzuschauen, konzentrierte er sich in Gedanken auf Garnier, denn der Hauptmann würde als Erster dran glauben müssen. Und wenn sie nicht rannten, wenn sie blieben und kämpften, umso besser, denn es konnte kaum ein besseres Schlachtfeld geben als diesen Vorplatz. Hier konnte er sich eingestehen, dass er in der Kunst des Lebens versagt hatte, dass er sich nicht um sein Seelenheil gekümmert hatte und daher einen verdienten Anspruch auf die ewigen Höllenfeuer hatte.
    Er dachte: Ich verliere den Verstand. Und es gefällt mir.
    Das Klappern massiver Hufeisen verkündete Clementines Ankunft.
    Tannhäuser wandte sich um. Er sah, dass Grégoire den Anblick des Blutbads in sich aufnahm. Der Junge grinste, weil er sich freute, ihn zu sehen, und aus keinem anderen Grund. Es war ihm gleich, was Tannhäuser getan hatte. Er liebte Tannhäuser. Dieses Grinsen brachte Tannhäuser wieder zur Vernunft.
    Er warf den Speer seinem Besitzer zu. Der duckte sich und warf schützend die Arme hoch. Der Speer fiel klirrend zu Boden. Grégoiremanövrierte die große Stute so, dass Tannhäuser mit Leichtigkeit aufsteigen konnte. Vom Sattel aus schaute er zu Juste hinunter. Der Junge war schreckensbleich. Tannhäuser fragte sich, wie viel mehr er noch aushalten konnte. Mit einer Geste forderte er ihn auf, sich am Steigbügel festzuhalten, und Juste packte den Bügel.
    Tannhäuser schaute zu Hauptmann Garnier, der alles mit angesehen hatte. Die Geschwindigkeit und Präzision der Morde; die zügellose Wut. Garnier blinzelte. Tannhäuser ließ den Blick langsam über die anderen Zuschauer schweifen. Falls einer von ihnen Tybaut erkannt hatte, erhob jedenfalls keiner die Stimme für ihn.
    »Wollt Ihr nicht bleiben und noch ein paar Ketzer verabschieden, Chevalier?«, fragte Garnier.
    Tannhäuser antwortete nicht. Er schaute die zum Tode Verdammten an, die am Rand des Platzes kauerten. Er verspürte keinerlei Gefühl für sie. Er wandte sich wieder zu Garnier.
    »Dieser Boden war schon Gott geweiht, ehe die Menschen das Feuer entdeckten. An diesem seltsamen Ort sollten wir alle gut bedenken, welche Blutopfer wir unbekannten Göttern darbringen. Denn eines ist sicher: Sollten diese Opfer Jesus Christus geweiht sein, so würde sich Ihm der Magen umdrehen.«
    Viele in der Menge zogen sich Schritt für Schritt vom Vorplatz zurück, als wäre dort ein giftiger Sumpf. Garnier fuhr sich mit blutigen Fingern durch den Bart.
    »Was diese hugenottischen Frauen und Kinder betrifft, so spreche ich im Namen Seiner Majestät persönlich, wenn ich Euch dringend empfehle, sie zu den Priestern in der Kathedrale zu bringen. Gebt ihnen die Möglichkeit, über eine katholische Taufe nachzudenken oder dort um Zuflucht zu bitten. Wenn Ihr ihnen diese kleine Gnade verwehrt, welche Gnade wird Euch dann beim Jüngsten Gericht zuteilwerden? Wenn wir aus den Gräbern auferstehen und der Erzengel Michael unsere Seelen daran misst, wie viel Liebe wir in unserem Leben nicht nur Gott, sondern seiner ganzen Schöpfung geschenkt haben.«
    Er deutete auf die Apokalypse, die über dem Haupttor der Kathedrale eingemeißelt war.
    »Ist es wirklich Zufall, dass das Jüngste Gericht hier über unseren Köpfen dargestellt ist?«
    Ein Hugenotte rief: »Wir würden eher sterben, als uns dem Papismus zu

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