Die Blutnacht: Roman (German Edition)
eines größeren Kameraden kletterte und mit einem grünen Halstuch wedelte.
»Meine Herren! Selbst wenn wir akzeptieren, dass diese Kette keinem sinnvollen Zweck dient«, brüllte er, »können wir trotzdem sicher sein, dass die Kette nicht hier ist, damit wir sie ignorieren! Kurz gesagt, Männer, es ist gleichgültig, warum die Kette hier ist! Wichtig ist, dass sie hier ist! Und in Ermangelung eines Regierungsbeschlusses bezüglich dieser Kette müssen wir auf der einen oder anderen Seite bleiben, ehe eine höhere Autorität Licht in die Sache bringt!«
Die Menschenmenge nahm zunächst diesen tapferen Versuch einer halbjuristischen Rechtfertigung hin, so gut sie konnte, brach dann aber in unflätiges Gejohle aus, zitierte verschiedene Präzedenzfälle und verwies auf die Rechte der Stadtbewohner mit besonderem Bezug auf den Sabbat, die bis in die Tage Julius Caesars zurückreichten. Dann gab es ein wildes Gedränge und Geschiebe.
Der Sergent wankte auf seinem hohen Sitz.
Tannhäuser hielt den richtigen Augenblick für gekommen, Clementine als Argument ins Feld zu führen.
»Jungs, haltet euch an Clementines Schwanz fest.«
Wieder einmal erwies sich, wie genial Grégoires Wahl gewesen war. Clementine bahnte sich mit beharrlichen, unnachgiebigen Schritten einen Weg durch das Gedränge. Menschen stürzten sich zu beiden Seiten nach rechts und links, Grunzen, Flüche und Schmerzensschreie waren zu hören. Clementine zeigte kein Mitleid, ließ sich auch von Alter, Behinderung oder Geschlecht ihrer Opfer nicht beeindrucken. Als sie die Kette erreichten, überragte Tannhäuser auf ihrem Rücken selbst den erhöhten Sergent noch um einen Kopf. Die beiden Männer unterhielten sich hoch über der tosenden Menge.
»Mattias Tannhäuser, Ritter von Malta, militärischer Berater Seiner Hoheit des Duc d’Anjou und allgemeiner diplomatischer Gesandter von Albert de Gondi, Comte de Retz.«
Der Sergent war von Herzen froh, ihn zu sehen. Er salutierte. Sein Grinsen legte einen einzigen Schneidezahn in seinem ansonsten zahnlosen Oberkiefer frei.
»Wachtmeister Alois Frogier, Euer Exzellenz. Euch schickt mir der Himmel. Hier herrscht heillose Verwirrung.«
»Ich komme gerade von einer Besprechung mit den Commissaires im Châtelet. Wer hat Euch befohlen, diese Brücke zu sperren?«
»Eure Exzellenz, Hauptmann Garnier hat den Befehl gegeben.«
»Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass die Sergents des Châtelet inzwischen ihre Befehle von der freiwilligen Miliz entgegennehmen? Weiß der Lieutenant , dass Ihr der Miliz erlaubt habt, diese Autorität an sich zu reißen?«
Die nackte Furcht war deutlich auf Frogiers Miene abzulesen.
»Nein, Euer Exzellenz, wahrscheinlich nicht, wenn auch keine widerrechtliche Aneignung von Befugnissen stattgefunden hat, und falls ein solcher Fehler ohne mein Zutun gemacht worden zu sein scheint, dann sollte der Lieutenant vielleicht nichts davon erfahren, wenn ihr so gütig sein könntet. Die Verwirrung, müsst Ihr wissen. Die Rebellion. Hauptmann Garnier hat behauptet, dass …«
»Bernard Garnier hat keinerlei Verfügungsgewalt über die Offiziere oder Ressourcen des Châtelet. Versteht Ihr das? Können wir uns darin auf Euch verlassen?«
Frogier salutierte erneut und schwankte dabei wie ein Matrose in der Takelage. »Das könnt Ihr, Exzellenz!«
»Die weitaus meisten dieser Menschen sind brave Katholiken, die sich nur in die Sicherheit ihres Zuhauses zurückziehen wollen, und genau da sollen nach dem Willen des Königs, des Lieutenants und des Bureau de Ville auch alle sein, die keine nützliche Rolle zur Wahrung von Recht und Ordnung zu spielen haben. Ein kluger Schachzug, das müsst Ihr zugeben?«
»Exzellenz, ich bin ganz Eurer Meinung,«
»Senkt die Kette, damit sich die Straße leeren kann. Weist Eure Leute an, zwei Durchgänge zu schaffen, einen für jede Richtung. Dann kommt wieder zu mir.«
Ein Rempler regte den Sergent , auf dessen Schultern Frogier saß, dazu an, einen Hagel von Faustschlägen auf die am nächsten stehenden Bürger niederprasseln zu lassen. Frogier ruderte mit den Armen, stürzte dann aber zu Boden. Tannhäuser hätte ihn halten können, unterließ das aber, um seinen Status zu unterstreichen. Frogier rappelte sich hoch und begann seine Männer anzubrüllen, die sich mit ihren Keulen über die Menge hermachten. Tannhäuser schaute über das Chaos hinweg zum Collège d’Harcourt.
Was immer Orlandu sich hatte zuschulden kommen lassen, es hatte etwas mit dem
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