Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Tod seiner Mutter zu tun. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass Carla in jemandem Mordgelüste provozierte. Dagegen waren für junge Leute die Möglichkeiten, Ärgernis zu erregen, schier unendlich. Tannhäuser wollte sich noch einmal mit dem alten Portier unterhalten, der Petit Christian verraten hatte, dass Tannhäuser in Paris war. Aber der Rauch im sechzehnten Bezirk machte ihm Sorgen. Seine Gewehre. Die Töchter des Druckers. Der Portier konnte warten.
Frogier fand sich an Clementines Schulter ein, und die massige Stute war wie ein Fels, um den zwei gegenläufige Menschenströme brandeten.
»Frogier, was ist im sechzehnten los?«
»Exzellenz, man hat uns gesagt, wir sollten uns aus dem sechzehnten Bezirk heraushalten.«
»Wer, Bernard Garnier?«
»Ja, Exzellenz. Wir haben klare Befehle vom Châtelet, keine unbewaffneten hugenottischen Bürger zu jagen, zu verhaften oder zu töten; allerdings haben wir, wie Hauptmann Garnier betont hat, keinen Befehl, andere daran zu hindern.«
»Die Miliz hat also im sechzehnten freie Hand?«
»Ja, Exzellenz, das muss man ihnen lassen, sie töten sie wirklich, wo sie sie finden. Töten die Ketzer, meine ich. Gasse für Gasse, Haus für Haus, Zimmer für Zimmer. Einige Studenten helfen ihnen dabei. Schließlich leben die auch da. Sie wissen, wer die Leute sind und was los ist und welche Ratten in welchem Loch verschwinden.«
»Was war Euer Befehl, ehe Garnier Euch abbeordert hat?«
»Unsere Wache an der Place Maubert zu besetzen, wie immer.«
»Dann wissen wir also beide, wo Euer rechtmäßiger Platz ist.Falls noch andere Einheiten widerrechtlich der Miliz unterstellt wurden, habt Ihr meine Genehmigung, sie davon zu befreien.«
»Sofort, Exzellenz.«
»Euer Mann da drüben, der mit dem verbundenen Auge, befehlt ihm, mir seinen Bogen und Köcher zu übergeben. Er soll sagen, die Miliz hätte sie ihm weggenommen. Ich gebe Euch einen Ecu d’or, den ihr aufteilen könnt, wie Ihr es für richtig erachtet.«
»Es wäre mir gar nicht recht, wenn Euer Leben von seinem Bogen abhängen würde, Exzellenz, aber für zwei Ecus d’or könnt ihr meinen nehmen. Ihr werdet feststellen, dass er eine viel bessere Waffe ist.«
Tannhäuser untersuchte den Bogen auf Risse und Fehler, fand aber keine. Er war zwar nicht so kurz wie die türkischen Waffen, die er bevorzugte, aber kurz genug, um ihn vom Sattel oder im Gedränge abzuschießen. Der Nockpunkt war mit roter Seide umwickelt und kaum abgenutzt. Er bog die Waffe hin und her und schätzte das Zuggewicht auf etwa sechzig Pfund, genug, um einen Hirschen niederzustrecken, obwohl Altan Savas, dessen Bogen ein Zuggewicht von über hundert Pfund hatte, darüber nur gelacht hätte.
»Zumindest hat er eine anständige Sehne.«
»Leinen und Bienenwachs, von mir selbst geflochten. Sechzig Fäden Schusterzwirn in drei Strängen. Hat eine Durchschlagskraft, auf die Euer Pferd stolz wäre. Eine Ersatzsehne ist im Köcher.«
»Zeigt mir einen Pfeil.«
Frogier hielt ihm einen Köcher aus Rehleder mit etwa einem Dutzend Pfeilen hin. Tannhäuser nahm einen. Weiße Birke, der Maserung nach zu schließen. Präzise gefiedert. Die Spitze war so lang wie sein Zeigefinger und wie ein Stilett spitz gefeilt. Die Nocke war aus Horn und schien die Sehne beinahe von allein zu finden.
»Zwei Jahre gelagert, doppelt lackiert und perfekt ausbalanciert und genau richtig für diesen Bogen. Diese Spitzen sind über der Holzkohle gehärtet.«
Tannhäuser schaute auf Frogiers Armschutz. Den hätte er kaum über seine Knöchel ziehen können.
»Keine Breitkopfpfeile?«
Ein Schuss mit einem Breitkopf war, als schösse man mit einem Messer auf den Gegner. Das Messer blieb stecken, und bei jeder Bewegung und jedem Atemzug des Opfers schnitt es tiefer ein.
»Das Châtelet hat sie verboten, Exzellenz. Zu hohe Arztkosten – Ihr würdet nicht glauben, wie oft diese Jungs den falschen Verbrecher erwischen. Aber wer braucht für einen normalen Pfeil einen Wundarzt? Keine Sorge, diese hier spalten auf eine Sechzehntelmeile eine Scheunentür.«
»Das Grün und Rot zwischen den Federn, sind das Eure Farben?«
»Keine Sorge, Exzellenz, falls ein Pfeil an der falschen Stelle gefunden werden sollte, gibt man dem Hugenotten die Schuld, der heute Morgen in der Verwirrung meine Waffen gestohlen hat.«
»Die sind ja berüchtigte Diebe.«
»Für einen weiteren Ecu d’or, im Voraus bezahlt, könnte ein Wachmann unter den Toten sogar den Schuldigen
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