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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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zu, als du es für nötig hältst, und ganz bis unten. Dann drehst du den Griff so, wie den Hebel der Druckerpresse.«
    »Pascale«, bettelte Jean, »bei meiner Liebe zu dir, bitte, im Namen Jesu, Gnade!«
    »Als Vater geschrien hat, hast du dir die Ohren zugehalten.«
    »Lass dich nicht von deinem Opfer ablenken«, sagte Tannhäuser. »Das kann tödlich sein.«
    Er reichte ihr das Metzgermesser. Sie nahm es, packte Jean beim Haar und zerrte seinen Kopf nach hinten. Sie musterte seine Augen, seine Tränen, seinen Mund.
    »Pascale«, bettelte Jean. »Pascale.«
    »Und am wichtigsten: Zögere nicht, denn das macht einen wirklichen Mörder aus.«
    Was Pascale auch fühlte, Zögern war es nicht. Sie setzte die Messerspitze an Jeans Hals und rammte ihm die Klinge in die Brust, als hätte sie es schon so oft gemacht wie Tannhäuser. Jean seufzte. Sie drückte auf das Heft wie auf einen Hebel und durchtrennte sein Herz.
    »Jean ist tot. Du hast es gespürt. Du weißt es.«
    »Ja.« Ihre Lippen verzogen sich.
    »Jetzt zieh die Klinge heraus und trete zur Seite.«
    Pascale zog das Messer heraus und trat zur Seite.
    »Halte dich nie unnötig auf. Sobald du getötet hast, sei bereit, weiter zu töten.«
    »Ja.« Sie dachte darüber nach. »Ja. Das verstehe ich.«
    »Ein Kampf auf Leben und Tod muss in Sekunden vorüber sein. Wenn ein Mann das Geschick hat, drei deiner Angriffe zu überstehen, dann hat er das Geschick, dich mit einem einzigen zu töten. Lass dich nicht verletzen.«
    Tannhäuser hängte Jean wie nasse Wäsche über das Geländer und klemmte die Füße der Leiche zwischen die Stäbe, um sie zu verankern.Im Schlafzimmer trat Tannhäuser Ebert so lange in die gebrochenen Rippen, bis der sich unter dem Bett hervorschlängelte und unter Schmerzen aus dem Zimmer kroch. Während er weinte, befolgte Pascale Tannhäusers Anweisungen, wie man am besten die großen Blutgefäße im Hals erreichte, und schnitt Ebert die Kehle durch.
    Das Ergebnis, Ströme von Blut, faszinierte sie so, dass Tannhäuser sie ganz gebannt anschaute. Pascale hatte gerade zwei Männer ermordet, als hätte sie jahrelange Übung. Er schaute sie an. Sie blickte zurück. Er empfand eine grausige Seelenverwandtschaft.
    Tannhäuser hängte auch Eberts Leiche über das Geländer. Das Blut der beiden toten jungen Männer ergoss sich in Kaskaden über die Holzstufen auf die unteren Stockwerke. Die Tropfen tanzten und spritzten. Das Treppenhaus war von einem feuchten roten Nebel erfüllt.
    »Nun? Waren sie Studenten oder Schauspieler?«
    »Sie haben behauptet, beides zu sein. Vielleicht waren sie keins von beiden. Mir ist es einerlei.«
    »Dieser letzten Vorstellung können wir zumindest Beifall zollen.«
    Flore trat zur Tür. »Ich kann jemanden über die Dachziegel kommen hören.«
    Tannhäuser lauschte. Flore hatte recht.
    Es waren mindestens zwei Männer unmittelbar über ihnen auf dem Dach.
    »Können sie die Falltür und die Leiter erreichen?«
    »Die Falltür hat einen Riegel auf dieser Seite, aber der ist offen. Papa hat uns aufs Dach geschickt, aber Pascale ist dageblieben und hat die Studenten beschimpft. Ich konnte sie doch nicht im Stich lassen. Ich glaube, ich habe vergessen, den Riegel wieder vorzuschieben.«
    »Schwestern sollten zusammenhalten«, sagte Tannhäuser.
    »Haltet Ihr auch mit uns zusammen?«, fragte Flore.
    »Ich bleibe bei euch, bis ihr in Sicherheit seid«, antwortete Tannhäuser.
    Er spürte die Hitze von Pascales Augen auf sich. Er schaute zu ihr hin.
    »Heißt das, dass Ihr uns adoptiert?«
    Tannhäuser hätte beinahe gelacht, merkte dann aber, dass sie genauso ernst schaute wie beim Stich in Jeans Herz. Er ging zum Schlafzimmerfenster und blickte auf die Straße hinunter. Er sah, wie Milizmänner in großer Zahl auf die Haustür zustürmten.
    »Unser Glück hat sich gewendet. Sie versuchen das Haus zu stürmen.«



KAPITEL 15

D ER N ARR KENNT KEINEN H ERREN
    Carla schaute über Alices Schulter auf die vier Karten.
    Es waren Tarotkarten, ein italienisches Blatt, und sie stammten aus verschiedenen Spielen. Zwei waren handkolorierte Holzschnitte und trugen die Zahlen xII und I. Zwei waren wunderschön mit Tempera bemalt, allerdings von verschiedenen Künstlern. Auf Letzteren standen weder Namen noch Zahlen, und sie waren ein wenig größer. Carla hatte solche Karten schon gesehen, obwohl sie selbst nicht Karten spielte. Sie hatte gesehen, wie Wahrsager sie auf den Straßen von Neapel und auf dem Markt am Hafen von Marseille

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