Die Blutnacht: Roman (German Edition)
rauchenden Druckerschürze.
»Danke«, sagte Pascale.
Es standen Tränen in ihren Augen, aber sie weinte nicht. Tannhäuser drängte sie weiter. Sie erreichten das Ende der Straße, wo Clementine wartete, die Jungen aber nicht.
Die große Stute hatte den Zügel straff gezogen und trat mit rollenden Augen und nervösen Kopfbewegungen hin und her, verstört, weil man sie verlassen hatte, verstört vom Geruch des Blutes und des Feuers, vom Lärm und der Stille der Angst und des Todes. Sie freute sich, Tannhäuser zu sehen. Er ließ sich Zeit und murmelte ihr zärtliche türkische Worte ins Ohr, da seiner Meinung nach alle Pferde diese Sprache liebten. Das tröstete Clementine, wahrscheinlich aber nicht so sehr, wie ihr großes Herz ihn tröstete. Er dachte an seinen großen mongolischen Hengst Buraq, der nun sein Gnadenbrot auf den Weiden von La Penautier genoss.
Tannhäuser sagte: »Nennt sie die Allerschönste.«
»Ja, ja«, sagte Flore. Sie schaute Clementine ins große, breite Gesicht. »Ja, Clementine, ja, du bist die Allerschönste. Darf ich sie anfassen?«
»Streck deine Hand aus, damit sie deinen Geruch aufnehmen kann. Lass sie dich berühren.«
Clementine schnupperte an Flores Handfläche. Tannhäuser packte die Satteltaschen und Pistolenholster auf den Rücken der Stute. Er sorgte sich um Grégoire und Juste.
Er zog die beiden Äpfel aus der Tasche. Sie sahen köstlich aus und erinnerten ihn daran, dass er einen Bärenhunger hatte. Er reichte sie Flore und Pascale, die seine Absicht missverstanden. Ehe er sie davon abhalten konnte, verfütterten sie beide an Clementine. Und doch hatten sie den besseren Handel getroffen. Das Vergnügen des Pferdes war so ungeheuer, dass ihm die Augen beinahe aus dem Kopf traten, und die Mädchen lachten so entzückt, wie man es auf dieser Straße nicht für möglich gehalten hätte.
»Könnt ihr reiten?«, fragte er.
»Nein«, erwiderte Pascale. »Wir hatten nie die Gelegenheit.«
»Dann habt ihr einen heftigen Anfang vor euch, denn sie ist das größte Pferd, auf dem ich je gesessen bin.«
Er fragte sich, wie er die Mädchen in den Sattel hieven sollte, ohne sich die Hände an ihren Füßen zu beschmutzen.
»Schade, dass Grégoire nicht hier ist.«
»Du meinst deinen Lakai?«, fragte Pascale.
»Sein Rücken wäre ein guter Aufsitzbock für euch gewesen.«
»Wo ist er?«
Tannhäuser antwortete nicht. Er stieg in den Sattel, streckte die Arme nach unten und half den Mädchen, sich hinter ihm auf Clementines Rücken zu schwingen. Dann hob er sein rechtes Bein über den Hals des Pferdes und ließ sich zu Boden gleiten. Pascale rutschte in den Sattel vor, und Flore hielt sich an ihrer Taille fest. Er gab Pascale das Gewehr und zeigte ihr, wie sie es auf den Sattelknauf stützen konnte. Dann nahm er Clementine am Zügel.
»Warum reitest du nicht mit uns?«, fragte Flore.
»Ich kann am Boden besser kämpfen. Wenn es Schwierigkeiten gibt, lasse ich Clementine wegtraben und sie bringt euch in Sicherheit. Jeder, der ihr in den Weg tritt, wird es bereuen. Haltet euch an ihrer Mähne fest und packt sie mit den Knien. Jetzt sagt mir, wer wird euch aufnehmen? Wer kann euch sicheren Schutz bieten?«
Die Schwestern starrten ihn an, als hätte es nie einen übleren Verrat gegeben.
»Ihr müsst doch jemanden kennen. Freunde, Verwandte, Nachbarn.«
»Die Hälfte der Männer, die du auf der Treppe umgebracht hast, waren unsere Nachbarn«, erwiderte Pascale. »Sie kennen uns unser Leben lang. Manche waren Vaters Freunde. Vielleicht hättest du die fragen sollen.«
»Habt ihr keine katholischen Verwandten? Ich kann euch nicht durch Paris mitschleppen, nicht heute.«
Flore sagte: »An einem anderen Tag würden wir dich nicht darum bitten.«
Mehr Leichen säumten ihren Weg, Tote jeden Alters und Geschlechts, in den Gossen aufgehäuft, blutend aus Fenstern geworfenund an Türen gelehnt. Sie kamen an blutbesudelten Gruppen von Milizsoldaten und Studenten vorbei, die den Mädchen misstrauische und lüsterne Blicke zuwarfen; doch niemand wagte es, Tannhäuser anzugehen. Sie sahen Diebe, die wild vor Gier Häuser plünderten. Manche folgten der Miliz gleich auf dem Fuß, raubten die gerade eben Ermordeten aus. Manche Straßen waren so voller frisch vergossenem Blut, so voller Gemetzel, dass Tannhäuser sich nicht hineinwagte und Pascale drängte, ihnen einen anderen Weg zu ihrem Ziel zu weisen.
Manchmal senkte sich eine seltsame Stille über das Quartier , und die Mädchen
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