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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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verspricht.«
    Tannhäuser grunzte nur.
    »Die Krone ist hoch verschuldet und in der Hand der italienischen Bankiers«, fuhr Retz fort. »Ein weiterer Konflikt mit Spanien wäre eine Katastrophe. Und doch zögert Seine Majestät, zumindest, wenn er auf Coligny hört.«
    »Warum lässt man einen Kriegstreiber wie Coligny überhaupt in die Nähe des Königs?«
    »Der König ist erst zweiundzwanzig Jahre alt.«
    »In dem Alter nahm Alexander bereits bei den Mauern von Persepolis Maß.«
    »Ihr habt in gewisser Weise recht.« Retz hielt inne. »In der Nacht, in der Seine Majestät zum ersten Mal mit einer Frau schlief, war ich während der gesamten Prozedur anwesend, um sicherzugehen, dass alles gut verlaufen würde. Und es ging alles gut, denn es ist meine heilige Pflicht, dafür zu sorgen, dass für Seine Majestät alles gut verläuft. Aber abgesehen davon habt Ihr unrecht, denn ungeachtet seiner Fähigkeiten ist der König eben der König.«
    Tannhäuser knirschte mit den Zähnen.
    »Tannhäuser, ich bin von Speichelleckern und Lügnern umgeben. Eure unverblümte Art ist für mich wie Gold, so selten erlebe ich sie. Vor zwei Tagen hat Coligny nun eine eindeutige Drohung ausgesprochen: entweder Krieg in Flandern oder Bürgerkrieg.«
    »Gilt es nicht mehr als Hochverrat, wenn man dem König droht?«
    »Seine Majestät liebt Coligny beinahe so sehr wie den Vater, den er kaum kannte.«
    »Coligny liebt nur den Krieg. Ohne Krieg wäre er nur eine Provinzgröße. Er ist nichts. Daher hat er nichts zu verlieren, und ich würde ihn beim Wort nehmen: Der nächste Krieg hat schon begonnen.«
    »Ein Hugenottenheer von viertausend Mann lagert einen Tagesmarsch von Paris entfernt. Sie haben nicht die Absicht anzugreifen und brauchen das auch nicht zu tun. Coligny behauptet, dass es treue Untertanen sind, aber sie werden nicht vom König befehligt, und daher stellt ihre bloße Anwesenheit die Autorität des Königs in Frage. Und sie versetzen die allgemeine Bevölkerung in Angst und Schrecken.«
    »Warum erzählt Ihr mir all dies?«
    »Ich möchte wissen, was Ihr unter diesen Umständen machen würdet.«
    »An Eurer Stelle?«
    »An der Stelle des Königs.«
    Tannhäuser spürte einen Druck im Schädel. In den Monaten, die er in der Wildnis, auf See und in der Wüste verbracht hatte, waren ihm derlei Sorgen fremd geworden. Er war wieder eins geworden mit der Welt, wie Gott sie geschaffen hatte. Und er hatte die Welt vergessen, die die Menschen daraus gemacht hatten.
    »Bitte, sprecht ganz frei«, sagte Retz.
    »Coligny ist ein starker Mann. Er weiß genauso gut wie jeder Bettler auf der Straße, dass der König schwach ist – oder für schwach gehalten wird. Es ist bitter für starke Männer, ihre Befehle von einem Schwächling entgegenzunehmen. Schlimmer noch: von der Mutter eines Schwächlings.«
    »Dann haltet Ihr nichts vom Toleranzedikt?«
    »Tolerieren kann man eine lästige Krankheit, nicht Kriegsherren wie Gaspard Coligny.«
    Mit Kriegsherren war Tannhäuser gut vertraut. Er wünschte, er wäre wieder im Land Gottes, zusammen mit den Reisenden aus Timbuktu.
    »Steht den Hugenotten denn keine Gewissensfreiheit zu?«
    »Colignys Hauptmänner sitzen doch nicht in den Kneipen und debattieren über die wahre Gegenwart Christi in der Messe. Sie reden über Frauen und Pferde, nicht über das Wesen des Göttlichen. Sie haben keine Ahnung, wofür sie kämpfen, genauso wenig wie die Katholiken. Dies ist ein Krieg zwischen Gläubigen, die nicht verstehen, woran sie eigentlich glauben. Es geht um Macht, nicht um Religion. Liegt die Macht beim Staat in der Person des Königs? Oder ist sie zwischen den Kriegsherren und ihren Söldnern verteilt? Aber das wisst Ihr selbst, das muss ich Euch nicht sagen.«
    Die Kutsche kam rasselnd zum Stehen und ächzte, als Guzman von seiner Plattform stieg. Dann pochte Guzman an die Tür.
    »Der Louvre, Eure Exzellenz«, sagte er.
    Retz schaute Tannhäuser an. »Wie würdet Ihr diese Frage lösen?«
    »Der König braucht meinen Rat nicht.«
    »Im Gegenteil. Ihr seid ein Mann von Welt, der von den Intrigen des Hofes unberührt ist. Ein kühler Kopf. Ein Mann, der in diesem Spiel keinen Einsatz gemacht hat.«
    Tannhäuser verzog das Gesicht. »Die Elite der Hugenotten widersetzt sich dem König in seinem eigenen Palast. Sie sprechen für Verrat. Sie fordern Kriege. Sie bedrohen sein Königreich. Sie bedrohen seine Mutter.«
    Tannhäuser hielt inne. Retz hatte ihn mit seinem Charme zugesetzt. Das gefiel ihm

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