Die Blutnacht: Roman (German Edition)
sie los«, sagte Grymonde. »Wir gehen heim.«
»Was, jetzt gleich?« keuchte Bigot. Seine Stöße wurden wilder.
Papin trat vom Tisch weg.
»Ruft die Karren und die Leute zusammen. Und lass die Frau los.«
»Papin war schon dran.«
»Ich habe gesagt: Lass sie los.«
»Du hast gesagt: Alles für alle …«
Grymonde schoss ihm ins Gesicht. Bigot flog zurück und fiel reglos zu Boden. Grymonde schaute durch den Pulverdampf zu Papin. Der starrte auf Bigot und keuchte vor Schreck. Er raste auf die Tür zu, ohne Grymonde anzusehen.
»Papin.«
Papin blieb auf der Schwelle stehen, hatte zu viel Angst, um sich umzudrehen.
»Die Karren. Die Leute. Bring sie nach Hause.«
Grymonde richtete die Pistole auf den Kopf des Mädchens und legte den Finger an den zweiten Abzug. Sie hob das Gesicht und schrak zurück, mehr vor seinem Anblick als vor der Mündung der Waffe. Er zögerte. Was tat er da? Das Mädchen schaute ihn noch einmal an. Ihre Augen flehten um Gnade, aber er konnte nicht erkennen, ob sie damit Leben oder Tod meinte. Er entspannte den Hahn und steckte die Pistole wieder in den Gürtel. Er nahm das Mädchen beim Arm und zog sie auf die Beine.
»Kannst du gehen?«
Er fragte nicht nach ihrem Namen, und sie nannte ihn nicht. Sie sagte gar nichts, und auch er schwieg. Während sie durch das Gewirr der Straßen auf Les Halles zugingen, wurden die Gassen ruhiger, wenn auch nicht friedlich. Dafür hatte die Angst jedes einzelne Gebäude zu sehr durchdrungen. Eine Gruppe von Milizmännern kam auf sie zu. Sie waren auf dem Weg zum Schlachtfeld. Grymonde starrte sie an, und sie schauten zu Boden und trotteten vorüber. Langsam wurde sein Kopf wieder frei. Der Druck hinter den Augen verringerte sich, sein Blick wurde klarer.
Bei der Kirche von Saint-Leu blieb er stehen und wandte sich zu dem Mädchen.
»Hier kannst du Zuflucht finden, wenn du willst.«
»Muss ich mich taufen lassen?«
»Pater Robert ist kein Eiferer. Wir fragen.«
Das Mädchen nickte, schaute aber nicht zu ihm auf.
Im Inneren der Kirche war es dämmerig, und er hörte ängstliches Murmeln und erschrockene Schreie, ehe er die Menschen sehen konnte. Die Kirche war voller Flüchtlinge. Das Erschrecken überseine Ankunft spiegelte sich in ihren Gesichtern. Verwundete lagen am Boden, und ein alter Priester beugte sich mit einem Krug zu ihnen hinunter. Er war wohl taub, denn er drehte sich nicht um. Ein zweiter Priester, der viel jünger war, bahnte sich einen Weg durch den Mittelgang. Er war entsetzt und wütend, und er verhehlte es nicht. Grymonde wusste einiges von ihm: Er war fromm, aber ein wahrhaft barmherziger Mann. Er dachte nicht darüber nach, was der Priester wohl von ihm halten mochte.
»Pater Robert, ich wäre dankbar, wenn Ihr diesem Mädchen Obdach gewähren könntet.«
Robert neigte sich zu dem Mädchen. Er deutete auf den Mittelgang. Sie zögerte.
Grymonde erklärte: »Sie fürchtet, dass die Taufe der Preis für ihre Sicherheit sein wird.«
»Mademoiselle, Ihr seid hier ohne jede Vorbedingung willkommen.«
Das Mädchen brach in Tränen aus. Robert winkte einige Frauen herüber. Zwei kamen herbei. Sie versuchten, den Abscheu zu verbergen, den ihnen Grymonde einflößte. Sie führten das Mädchen zu den anderen.
»Sie wurde missbraucht«, sagte Grymonde.
»Ich werde nicht fragen, von wem. Hier wird man sie sanft behandeln.« Robert schaute auf die Blutflecke auf Grymondes Hemd. »Ihr seid der, den sie den Infanten nennen.«
»Ich heiße Grymonde.«
»Der eine Name ist so schwarz wie der andere. Ihr dürft jetzt gehen. Ihr macht ihnen Angst.«
Grymonde nestelte an seiner Börse.
»Behaltet Euer Blutgeld«, sagte Robert. »Die Münzen des Satans kaufen Euch keine Erlösung.«
»Ich bin nicht auf Erlösung aus, zumindest nicht von einem Lügengebäude wie diesem. Ich zahle dem Teufel meine Schulden in jeder Münze, die er fordert, wenn ich auch denke, dass inzwischen er in meiner Schuld steht. Bewahrt Euch Eure Verachtung für das nächste Mal auf, wenn Ihr Eurem Bischof den Ring küsst. Und hört mich zu Ende an. Dieser Wahnsinn – dieser katholische Wahnsinn – wird noch tagelang weitertoben, und wohin und wie weitdas führen wird, weiß niemand. Die Pforte dieser Kirche ist nur mit Worten gesichert …«
»Mit dem Wort Gottes.«
»Wenige hören heute auf das Wort Gottes, und unter denen, die ein ganz anderes Evangelium predigen, sind einige Eurer katholischen Brüder. Hört also auf ein Wort der Vernunft. Heuert einen
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