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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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ein Sergent gehört hat. Und ein, zwei Winkel, die nicht einmal Paul kannte.«
    »Ich habe Paul schon gesagt, dass ich für Verstecke nichts übrig habe.«
    »Paul diskutiert gern. Er muss deinen Besuch genossen haben.«
    Tannhäuser ließ diese Bemerkung im Raum stehen. Grymonde hatte eine Offenbarung.
    »Ich brauche noch eine von deinen Unsterblichkeitspillen. Diese ist anscheinend zu schwach.«
    Sein Grinsen, das die weißen Augenhöhlen noch dämonischer machte, bewies das Gegenteil.
    »Du wolltest doch einen gewaltsamen Tod. Einen schmerzlosen hast du nicht verdient.«
    »Als Carla mich ausgeschickt hat, dich zu suchen«, sagte Grymonde, »befürchtete sie, du könntest mich auf der Stelle umbringen. Sie hat mir einen Zauberspruch zum Schutz mitgegeben.«
    Tannhäuser legte die Partisane zur Seite. Er trank seinen Becher leer.
    »Raus damit, Infant, sonst brauchst du den Spruch bald.«
    Grymonde lachte und zuckte zusammen. Er kratzte sich an den Stichen am Kopf.
    »Wie ging es doch gleich? Ein winziger Vogel. Andri! Mehr Wein! Eine Nachtigall. Eine Dornenkrone.«
    Hinter Grymondes massigem Körper sah Tannhäuser ein kleines, schmales Mädchen, das von Osten in den Hof geschlichen kam. Feuchte lange Locken hüllten sie fast bis zu den Ellbogen ein. Eine schwere Tasche hing auf ihrer Hüfte. Mit beiden Händen trug sie ein kleines Bündel Lumpen.
    »Aha, jetzt weiß ich es wieder genau«, sagte Grymonde. » Eine neue Nachtigall erwartet deine Dornen .«
    Tannhäuser sprach den Namen aus, ohne nachdenken zu müssen.
    »Amparo.«
    »Sieh an, sieh an! Tatsächlich ein Zauber.«
    Tannhäuser spürte, wie ihm kalte Schauer über den Rücken liefen. Amparo war tot. Sie war allein gestorben, in Schmerzen und Schrecken. Denn er hatte sie im Stich gelassen. Er hatte seine Waffen niedergelegt, weil er gehofft hatte, sie so zu schützen; und er hatte sich geirrt. Carla wusste das alles. Nein. Sie hatte Amparos Leiche nicht gefunden. Sie würde niemals wissen, was es ihn gekostethatte. Carla hatte Amparo geliebt, nicht weniger, als sie ihn liebte. Nur Carla wusste, was die Nachtigall bedeutete.
    Er packte Grymonde beim Unterarm.
    »Eine neue Nachtigall?«
    »Noch einen Stein der Unsterblichkeit, sage ich. Ein so starker Zauber muss doch mindestens so viel wert sein.«
    Tannhäusers Finger krallten sich in die kräftigen Armmuskeln.
    »Grymonde?«
    Tannhäuser schaute zu dem Mädchen mit dem wilden Haar hinüber. Ihre Stimme erschallte laut.
    »Grymonde!«
    Das Mädchen schien überglücklich, wollte kaum glauben, dass er es wirklich war.
    »La Rossa!«
    La Rossa lächelte strahlend.
    Grymondes Freude war mindestens ebenso groß. Sein Lächeln war furchtbar, wenn er das auch nicht wissen konnte. Mit den leeren Augenhöhlen und den weißen Salbenflecken sah er aus wie ein riesiger, wild gewordener Harlekin. Er sprang auf die Füße, drehte sich herum und streckte die Arme mit den Riesenpranken weit aus. Tannhäuser stand auf und packte ihn an den Schultern, um ihn aufzuhalten, ihn zurückzudrehen, von dem Mädchen weg.
    »Mein Infant, lass mich das Mädchen auf dich vorbereiten …«
    La Rossa blickte Grymonde ins Gesicht.
    Sie schrie auf.
    Mitleid stand auf ihrem ausgemergelten Gesicht.
    »Wo sind deine Augen?«, schluchzte La Rossa. »Wo sind deine Augen?«
    Tannhäuser ließ die Hände sinken, als ihn ein anderes Geräusch wie ein Schlag in die Magengrube traf.
    Das kleine Lumpenbündel, das La Rossa auf den Armen trug, hatte zu weinen angefangen.

KAPITEL 25

M ÄUSE
    Pascale träumte von Tannhäuser. Sie hatte an ihn gedacht, als sie auf ihrem Kissen lag, weil sie hoffte, von ihm zu träumen, und es war gelungen. In bestimmten wilden Flügen, die sie sogar im Schlaf zu verlängern suchte, waren es erotische Träume. Andere Höhenflüge waren blutig, und sie beide waren stets Verbündete. In wieder anderen war Tannhäuser verwundet und allein, von schrecklichen Ungeheuern bedroht, die in der Überzahl waren.
    Als sie aufwachte, erinnerte sie sich daran, dass seine Frau tot war. Sie dachte: Ich bin beinahe alt genug zum Heiraten . Sie hielt die Augen geschlossen und stellte sich noch einmal die Schlacht vor, die er auf der Treppe vor ihrem Zimmer geschlagen hatte.
    Wenn ihr Vater Experimente mit seinen Zeichnungen und Stichen für eine neue Drucktype machte, weil er die meisten für so gut wie unleserlich hielt, versenkte er sich völlig im Augenblick. Wenn Tannhäuser tötete, machte er es genauso, nur schneller und

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