Die Blutnacht: Roman (German Edition)
wunderbare Musikerinnen, wie auch alle vier Kinder der Familie d’Aubray. Da das Thema der königlichen Hochzeit die Versöhnung zwischen den Religionen war, schien ein gemeinsamer Auftritt beim Ball der Königin, sozusagen eine musikalische Allegorie, ein hervorragender Gedanke zu sein.«
»Wem schien das so zu sein?«
»Nun, allen Beteiligten, einschließlich Eurer Lady Carla, wie wir annehmen müssen, da sie die Einladung ja angenommen hat. Wegen der jüngsten unglückseligen Vorkommnisse wurde der Ball abgesagt, und damit fiel auch die Allegorie aus.«
»Wer hat sich diese Allegorie ausgedacht?«
»Das weiß ich leider nicht«, antwortete Christian. »Ihr müsst wissen, dass über tausend Gäste eingeladen waren. Man wies mich an, die Unterkunft für Lady Carla zu arrangieren, genau wie für viele andere, die bei den Feiern eine Rolle übernommen hatten.«
»Und es war Eure Entscheidung, sie bei Madame d’Aubray unterzubringen?«
»Nein, Sire«, protestierte Christian. »Ich bin ein viel zu niederer Bediensteter.«
»Wer war dann dafür verantwortlich?«
»Man gibt mir Listen mit Namen und Anweisungen. Lange Listen. Ein Name kann auf vielerlei und sehr komplizierte Weise aufeine solche Liste gelangen. Dafür kann ein Freund sorgen, es kann ein Gefallen dahinter stecken, eine Bestechung oder die Begleichung einer Schuld. Ich bin für die Gepflogenheiten bei Hof nicht verantwortlich.«
Petit Christian log oder verbarg vielmehr das, was er wusste, unter einer Flut von Allgemeinplätzen. Tannhäuser war sich sicher, dass der Kerl ihm am Nachmittag gefolgt war. Warum, das konnte er sich nicht vorstellen. Auf eine Frage würde er sicherlich nur mit einem weiteren Strom von Lügen antworten. Man würde wahrscheinlich nur eine zufriedenstellende Antwort bekommen, wenn man ihm Angst einjagte oder Schmerzen zufügte. Beide Methoden konnte er hier kaum anwenden.
»Sagt mir, wo ich Lady Carla finden kann.«
»Ihr wollt nicht, dass ich Euch führe? Ich könnte es innerhalb einer Stunde möglich machen.«
»Versucht Ihr, mich hier aufzuhalten?«
»Aber keineswegs, Sire.«
»Ich habe bereits einen Stadtführer. Die Wegbeschreibung reicht.«
Christians Augen flackerten unruhig hin und her, als hoffte er, dass bald Hilfe käme.
»Für Paris ist die recht einfach. Folgt dem Fluss nach Osten bis zur Place de Grève, die Ihr am Hôtel de Ville und den Galgen erkennen könnt. Dann wendet Euch nach Norden bis zur Rue du Temple. Rechts liegen eine alte Kapelle und eine Priorei. Ein wenig weiter, und ihr seht die Überreste der alten Stadtmauer, hinter der der Tempel selbst liegt. Gleich südlich der alten Mauer findet Ihr dann auf der Westseite der Straße drei schöne Häuser im neuen Bürgerstil, kaum mehr als zehn Jahre alt. Die könnt Ihr nicht verfehlen, denn sie haben sehr viele Fenster. Das mittlere Haus ist höher als die anderen und hat eine doppelte Fassade. Im Sturz über der Tür sind drei Honigbienen eingemeißelt. Das ist das Hôtel d’Aubray.«
»Das will ich hoffen.«
»Ich hoffe, die Nähe des Johannitertempels beruhigt Euch.«
»Warum sollte ich Beruhigung nötig haben?«
»Ich wollte nur höflich sein, Sire. Kann ich Euch noch weiter zu Diensten sein?«
»Ihr könnt mir sagen, wo ich das Collège d’Harcourt finde.«
Es war kaum die geschickteste Falle, aber Petit Christian hatte nicht damit gerechnet. Im Louvre war die Täuschung den Menschen so sehr zur Gewohnheit geworden, dass manche nicht wussten, wann es am schlausten war, ehrlich zu sein.
»Es gibt unzählige Collèges, Sire. Ich weiß leider nur sehr wenig über sie, außer dass man die meisten am linken Flussufer findet.«
»Man sagte mir, dass es in der Nähe eines Gasthauses namens Roter Ochse liegt.«
»Es gibt zehnmal mehr Gasthäuser als Collèges, Sire.«
Tannhäuser sagte kein Wort.
Christian trat unruhig auf der Stelle, als wäre er sich nicht sicher, wer hier wen überrumpelt hatte. Er wusste ja, dass Tannhäuser die Lage beider Gebäude bereits bekannt war, denn er hatte ihn dort gesehen. Und doch wagte er nicht, das zu sagen. Es schien ihm wohl am sichersten, völliges Unwissen zu heucheln.
»Soll ich für Euch Nachforschungen anstellen, Sire?«, fragte er scheinheilig.
»Ich stelle meine eigenen an.«
Christians Lügengeschichten hatten den Verdacht bestätigt, dass der Mann ihm bis zu dem Augenblick gefolgt war, als er Retz traf. Der Portier musste einen Boten geschickt haben, während Tannhäuser im Roten
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